Corona führt zu "neuer Normalität"
Schulunterricht in NRW zunächst nur mit Maske

Ohne Maske geht es bis mindestens Ende August nicht in den Unterricht. 
 | Foto: PR-Foto Köhring/AK
  • Ohne Maske geht es bis mindestens Ende August nicht in den Unterricht.
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Am nächsten Mittwoch, 12. August, startet das Schuljahr 2020/2021. Am Montag äußerte sich das Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen in einem Erlass zu den Rahmenbedingungen in Corona-Zeiten. Seither arbeiten die Schulleitungen mit Hochdruck daran, Theorie und Wirklichkeit zusammen zu bringen.

Von Andrea Rosenthal

Das Papier aus dem Hause der Landesbildungsministerin Yvonne Gebauer umfasst 21 Seiten. Zwei zentrale Forderungen sind in der Diskussion - alle Kinder sollen zeitgleich und ohne den 1,5-Meter-Sicherheitsabstand unterrichtet werden, dafür ist aber zunächst bis Ende August das Tragen einer Maske auch im Unterricht vorgeschrieben.

Die Maskenpflicht

Die A-H-A-Regeln zum Schutz vor Corona sind mittlerweile bekannt: Abstand-Hygiene-Alltagsmasken. Wobei im Bedarfsfall der Abstand die Alltagsmaske ersetzen kann und umgekehrt. Wenn alle Schüler zum Unterricht kommen, ist der Abstand in den Klassenräumen nicht einzuhalten. Deshalb meint Dr. Heike Quednau, Leiterin der Luisenschule: "Die Maske kann einschränkend sein, aber sie ist allemal sinnvoller als ein Risiko einzugehen." Ähnlich sieht es auch Ulrich Stockem, Leiter der Otto-Pankok-Schule: "Die Masken sind alternativlos, weil der Abstand fehlt. Aber sie werden die Unterrichtsmethoden beeinflussen. Die Kommunikation wird weniger über das Sprechen im Unterricht laufen können." Dr. Sigrun Leistritz, Leiterin des Gymnasiums Heißen sieht ebenfalls Probleme, wenn die Schüler acht bis zehn Stunden ohne Pause eine Maske tragen müssen. "In Kombination mit der ohnehin stickigen Luft in unseren Klassenräumen, werden uns die Schüler reihenweise umfallen."

Plexiglaswände zum Schutz gibt es zur Zeit nur in den Sekretariaten. Teilweise haben die Schulen sie selber gebaut. Weitere Schutzgläser sind bei der Stadt bestellt, für jedes Lehrerpult werden sie aber nicht kommen.

In vielen Mülheimer Schulen ist die Belüftung ein Problem. Häufig lassen sich die Fenster aus Sicherheitsgründen nur kippen. Die Möglichkeit zum Stoßlüften entfällt. Um den regelmäßigen Luftaustausch zu gewährleisten, müssten Fenster und Türen der Räume ständig geöffnet bleiben, was einen ungestörten Unterricht erschwert. Ulrich Stockem hat an der Otto-Pankok-Schule zudem noch mit Bauarbeiten zu tun. "Ob und wie beispielsweise unser Atrium zur Zeit belüftet werden und damit auch genutzt werden kann, das weiß ich noch gar nicht", bedauert er.

Auch auf den Schulhöfen können die Schüler nicht aufatmen. Dort gilt ebenfalls die Maskenpflicht. Doch an einigen Schulen wird schon über eine Abstandsregelung statt Maske nachgedacht. "Die Kinder müssen schließlich auch irgendwann etwas essen und trinken", erklärt Ulrich Stockem die Notwendigkeit.

Die Mensen

Die Schulmensen müssen weiterhin geschlossen bleiben. Der Offene Ganztag wird mit Essen beliefert, das unter Einhaltung aller Abstands- und Hygieneregeln an Kleingruppen ausgegeben wird. Die Cafeteria des Gymnasiums Heißen bleibt geschlossen. "Der Betreiber will so seine Mitarbeiter schützen", berichtet Dr. Sigrun Leistritz. Auch das OP ist ohne Mensa. "Unsere ist sowieso gerade im Zuge der Bauarbeiten abgerissen worden. Die Mitnutzung der Mensa in der Realschule fällt nun aus. Wir haben uns um einen Verkaufswagen für den Schulhof bemüht", erklärt Ulrich Stockem. Die Luisenschule wird von Schollin beliefert. "Wie wir das möglichst sicher für alle umsetzen können, verhandeln wir gerade noch", weiß Dr. Heike Quednau.

Der Sportunterricht

Im Sportunterricht ist das Tragen der Masken ausgeschlossen. Deshalb empfiehlt das Ministerium, bis in den Herbst den Sportunterricht nach draußen zu verlegen. Doch längst nicht alle Schulen verfügen über geeignete Anlagen. Die Fachschaften arbeiten deshalb an Lösungen.

Ulrich Stockem, der selbst auch Sport unterrichtet, erklärt: "Wie in allen Fächern müssen wir kreativ sein. Es gilt Corona-Curricula zu erstellen. Dann gibt es eben Tai Chi statt Handball." Und bei schlechtem Wetter müsse der Sport eben in der Theorie im Klassenzimmer stattfinden oder doch in der Halle. Allerdings fehlen oft noch die Informationen vom Schulträger unter welchen Bedingungen das geht. Die Sporthalle der Otto-Pankok-Schule ist gerade neu eröffnet. "Der Planungsstand der Lüftungsanlage ist modern, aber wir müssen genau wissen was das in der Praxis heißt", betont Ulrich Stockem, dem es wichtig ist, die Dinge rational anzugehen und sich an den Erkenntnissen der Virologen zu orientieren.

Der Musikunterricht

Auch der Musikunterricht muss von den Fachschaften neu strukturiert werden. Singen und Blasmusik fallen meist aus, weil für beide Tätigkeiten Abstände notwendig sind, die weit über den Standard von 1,5 Metern hinaus gehen.

Die Luisenschule ist in der glücklichen Lage, das gewährleisten zu können. Dr. Heike Quednau hat das schon vor den Ferien ausprobieren können. "Wir nutzen unseren schönen Schulgarten. Dort probt auch die Bigband der Luisenschule regelmäßig, dort haben alle Abschluss- und Willkommensfeiern mit Musikbegleitung stattgefunden." Wer dieses Glück nicht hat, bei dem gilt: Theorie statt Praxis.

Die Betreuung

In den weiterführenden Schulen Mülheims bieten Caritas und Diakonie den Offenen Ganztag für Schüler der Jahrgänge 5 und 6 an. Das ist schon vor den Ferien wieder angelaufen und hat überall ohne Schwierigkeiten funktioniert. Die Gruppen sind überschaubar und die Räume groß genug, um Abstand zu halten.

Ob die Maskenpflicht auch in der Betreuung gilt, ist strittig. Laut Erlass müsste Maske getragen werden, da die OGS im Schulgebäude angesiedelt ist. Doch mit Abstand und nach dem Ermessen der Verantwortlichen kann auf die Maske verzichtet werden. Die Umsetzung soll sich in den ersten Schulwochen durch die Praxiserfahrungen regeln. Ein Problem ist auch die Durchmischung der Schüler in der OGS. Eigentlich sollen die Klassen strikt getrennt bleiben, um Infektionsherde zu isolieren und die Nachverfolgbarkeit zu erleichtern. Betreuung, Wahlpflichtkurse und Arbeitsgemeinschaften mischen die Schüler jedoch. Was nun im nächsten Schuljahr in welcher Form angeboten werden kann, muss sich noch zeigen. "Bei allen ist gerade ganz viel Kreativität gefragt", weiß Ulrich Stockem.

Der Fernunterricht

Wenn der Präsenzunterricht nicht stattfinden kann, weil entweder Lehrer oder Schüler erkrankt sind oder eine Klasse oder Schule in Quarantäne muss, dann muss es laut Erlass im gleichen Umfang digitales Home Schooling geben. Die Lehrer bereiten sich durch Weiterbildungen auch darauf vor. Gleiche Voraussetzungen für alle gibt es nicht. Viele Schulen haben kein W-LAN, es gibt noch keine Dienstgeräte für Lehrer und auch die landeseigene Lernplattform Logineo funktioniert nur teilweise. "Wir haben es bisher mit viel Engagement von allen geschafft. Doch es liegt eine hohe Verantwortung beim einzelnen Schüler", erklärt Dr. Heike Quednau.

Und Ulrich Stockem ist froh, dass das OP schon vor Jahren eine A15-Stelle für einen Digitalkoordinator eingerichtet hat. "Dadurch waren wir im ersten Lockdown gut aufgestellt. Wir haben ein großes Engagement in der Lehrerschaft, viele haben sich schon freiwillig weitergebildet." Das OP setzt weiterhin auf Big-Blue-Buton statt auf Logineo, weil es sich bewährt hat.

Am Gymnasium Heißen hat man vor den Ferien mit dem Untis Messenger und Nextcloud den digitalen Unterricht gestemmt. Eigentlich wollte man zum neuen Schuljahr auf Logineo umstellen. "Leider funktioniert der Schülerbereich von Logineo noch immer nicht", berichtet Dr. Sigrun Leistritz von ihren Erfahrungen, "aber wenigstens hat nun jeder Lehrer eine eigene, datenschutzkonforme eMail-Adresse." So arbeitet das Kollegium sich parallel zum Präsenzunterricht in weitere Tools für das digitale Lernen ein. Große Hoffnungen setzt man auf die HPI-Schulcloud des Potsdamer Hasso-Plattner-Instituts, die ursprünglich bundesweit eingesetzt werden sollte und vielfältige Möglichkeiten zum Einbinden zusätzlichen Unterrichtsmaterials und Lernsoftware hat. Die Nutzung scheitert bisher jedoch am nicht vorhandenen Glasfaseranschluss am Gymnasium an der Kleiststraße. 

Die Technik

Für die technische Ausstattung der Schulen ist die Stadt als Schulträger gefragt. Mittel aus dem Digitalpakt des Landes stehen bereit, sie müssen nun zügig abgerufen und eingesetzt werden. Doch darin liegt ein Problem wie Schuldezernent Marc Buchholz erklärt: "Uns stehen 1,3 Millionen Euro vom Land zur Verfügung, aber die anzuschaffende Technik muss europaweit ausgeschrieben werden." Das dauere mindestens sechs Monate. "Wertvolle Zeit, die wir nicht haben!" Das Land müsse die Vergaberichtlinien lockern, was in Ausnahmesituation möglich sei.

Auch lange Lieferzeiten machen die Beschaffung der Technik schwierig. So hat die Politik nun die Verwaltung per Dringlichkeitsbeschluss mit der Anschaffung von 400 Tablets ohne SIM-Karte für die weiterführenden Schulen beauftragt. Diese sollen zunächst dorthin gehen wo Kinder sind, die wegen fehlender Geräte vom Online-Unterricht ausgeschlossen waren. "Im Quarantänefall einzelner Klassen muss dann eventuell die Technik umverteilt werden", erklärt Marc Buchholz die Planungen bis genügend Geräte für alle da sind. Die 400 Tablets liegen in ihrem Anschaffungspreis unter der Grenze für europaweite Ausschreibungen, weshalb die Bestellung schnell möglich war. In den nächsten Wochen sollen die Geräte geliefert werden.

"Wir haben uns für Tablets ohne SIM-Karte entschieden, weil wir zum einen nicht kontrollieren können wie eine stadteigene SIM-Karte eingesetzt wird und eine - irgendwann leere - Prepaid-Karte auch keinem nützt", erläutert der Schuldezernent. Da aber selbst im Hartz IV-Regelsatz eine Telekommunikationspauschale von rund 30 Euro vorgesehen sei, könne sich jeder Schüler selbst mit W-LAN versorgen.

Autor:

Andrea Rosenthal aus Mülheim an der Ruhr

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