Die wechselhafte Geschichte eines ganz besonderen Sparschweins an der Aktienstraße

Die Sparschwein-Skulptur vor der Sparkasse an der unteren Aktienstraße. PR-Foto Kšhring/SM
  • Die Sparschwein-Skulptur vor der Sparkasse an der unteren Aktienstraße. PR-Foto Kšhring/SM
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Wenn es um ihr Geld geht, gehen die meisten Mülheimer zur Sparkasse. Wer an der unteren Aktienstraße wohnt, hat keinen weiten Weg und stößt zwischen dem Bürgergarten und der 1965 eröffneten Sparkassenfiliale auf ein steinernes Sparschwein, auf dem Kinder mit ihren Geldbeuteln reiten. Seit 2001 steht diese Skulptur vor der Filiale, in der derzeit sechs Mitarbeiter 3000 Kunden betreuen. Davor war sie, zwischen 1967 und 2001 an der damaligen Sparkassenfiliale an der Prinzeß-Luise-Straße in Broich aufgestellt.

Doch das gewichtige Sparschwein hat eine erheblich längere Geschichte, mit der sich unter anderem der Mülheimer Religionspädagoge Gerhard Bennertz beschäftigt hat. Denn er hat seit den frühen 1980er Jahren das Schicksal der jüdischen Mülheimer erforscht, die während der Nazi-Jahre 1933 bis 1945 verfolgt, gequält und getötet wurden.

Ein Schwein sorgt für Ärger

Und eben dieses Sparschwein, das heute an der unteren Aktienstraße steht, wurde anno 1909 am Portal der damals neuerrichteten Sparkasse am Viktoriaplatz angebracht. Das Problem: Das Sparschwein zeigte der benachbarten Synagoge, die bereits 1907 am Viktoriaplatz eröffnet worden war, sein Hinterteil. War dies ein antisemitischer Affront, wie es der Leiter des Stadtarchivs, Dr. Kai Rawe, in seinem Jubiläumsvortrag zum 175. Geburtstag der Sparkasse ausgeführt hat? Oder handelte es sich um einen Architektenscherz, der vor allem den orthodoxen, weniger aber den liberalen Mitgliedern der damals rund 700 Seelen zählenden Gemeinde übel aufstieß, wie es Bennertz glaubt? Dass sich die Aufregung in der Jüdischen Gemeinde damals, ob des Sparschweins über dem Sparkassenportal in Grenzen hielt, hat Bennertz bereits vor vielen Jahren in Israel erfahren, wo er damals mit ehemaligen Schülern des damaligen Gemeinde-Rabbiners Otto Kaiser über die Mülheimer Sparschwein-Affäre des Jahres 1909 gesprochen hatte. „Da die Synagoge damals neben ihrem Haupteingang zwei Nebeneingänge hatte, konnten orthodoxe Gemeindemitglieder, die Anstoß am Sparschwein über dem benachbarten Sparkassenportal nahmen, den für sie unangenehmen Anblick beim Besuch des Gotteshauses ganz einfach vermeiden“, berichtet Bennertz.

Stadtverordnete gaben dem Einspruch statt

Immerhin folgte der Stadtrat noch im Jahre 1909 einer Eingabe des Rabbiners Otto Kaiser und ließ das Sparschwein vom Sparkassenportal wieder entfernen. Doch die dunkelsten Jahre sollten der Jüdischen Gemeinde noch bevorstehen. Schon in den ersten Jahren nach der Machtübernahme durch die Nazis gingen viele Gemeindemitglieder zwischen 1933 und 1938 ins Exil. Dadurch sank die Zahl der Gemeindemitglieder auf rund 340. Weil die unter dem Druck der äußeren Ereignisse geschrumpfte Gemeinde ihre Synagoge nicht mehr unterhalten konnte und sich auf ihr Gemeindehaus an der Löhstraße beschränken musste, verkaufte der Gemeindevorstand das ursprünglich für 300.000 Mark erbaute Gotteshaus für 56.000 Reichsmark an die Stadtsparkasse.

Teil einer dunklen Geschichte

Doch die Tage der Synagoge waren gezählt. Ausgerechnet Mülheims damaliger Feuerwehrchef Alfred Freter befahl in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 das Niederbrennen des jüdischen Gotteshauses. 1939 wurden seine Überreste an der Ecke Viktoriaplatz/Wallstraße geräumt. Doch die noch in Mülheim verbliebenen Gemeindemitglieder mussten nicht nur um ihre Häuser und ihren Besitz, sondern um ihr Leben fürchten. Ab 1941 begann ihre Internierung in sogenannten Judenhäusern, der ihre Deportation in die Vernichtungslager der Nazis folgte. 270 jüdische Mülheimer wurden Opfer des Holocaust.

Neues jüdisches Leben

Unglaublich, aber wahr, entwickelte sich nach 1945 ein neues jüdisches Gemeindeleben. Unter der Führung von Salomon Lifsches einigte sich die etwa 100 Mitglieder zählende Gemeinde mit der Stadtsparkasse in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre auf eine Entschädigung für die unter Wert verkaufte und später niedergebrannte Synagoge. Die Stadtsparkasse zahlte der Jüdischen Gemeinde 78.500 Mark und übereignete ihr ein 300 Quadratmeter großes Grundstück an der Wallstraße. Etwa zu gleichen Zeit, musste sich der ehemalige SS-Mann, Feuerwehrchef und Brandstifter Alfred Freter 1959 vor Gericht verantworten. Er wurde aber aus formalrechtlichen Gründen freigesprochen, weil er sich auf einen Befehlsnotstand berief und der Straftatbestand der Brandstiftung damals bereits verjährt war. Ihr Grundstück an der Wallstraße tauschte die Gemeinde in den 60er Jahre gegen ein anderes Gelände an der Kampstraße, wo eine neue Synagoge errichtet wurde. Derweil lagerte das ausgemusterte Sparschwein zunächst in einem Garten an der Zinkhüttenstraße, ehe es 1967 vor der Sparkassenfiliale an der Prinzeß-Luise-Straße aufgestellt werden sollte. Und von einem Zwischenlager an der Bahnstraße kam das Sparschwein mit seinen kleinen Reitern dann an seinen heutigen Standort. Und der ehemalige Viktoriaplatz heißt, in Erinnerung an die dort 1938 niedergebrannte Synagoge, seit 2009 Synagogenplatz.
Einblick in die wechselhafte Geschichte der Mülheimer Sparkasse, bietet eine interessante Ausstellung, die noch bis zum 20. September in ihrer Hauptgeschäftsstelle am Berliner Platz zu sehen ist.Thomas Emons

Autor:

Thomas Emons aus Mülheim an der Ruhr

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