Offener Brief zur Leiharbeit in der Fleischindustrie
Erfolg der Fleischlobby: CDU-Bundestagsfraktion belässt es bei unwürdiger Arbeit in Schlachtbetrieben

Offener Brief aus Haltern an Bundestagsabgeordnete:
„Leiharbeit in den Schlachtbetrieben gesetzlich beenden“


Empörung über Rückzieher bei Gesetzesberatung im Bundestag

HALTERN. In einem gemeinsamen offenen Brief an die CDU-Bundestagsabgeordneten aus NRW haben das Halterner Forum, der KAB-Bezirks- und Diözesanverband und das KönzgenHaus ihre Empörung und ihre Forderungen zum Ausdruck gebracht über eine zurückgestellte Gesetzesvorlage: „Das von der Bundesregierung vorgelegte Arbeitsschutzkontrollgesetz zur Beendigung der Werks- und Leiharbeit in der Fleischindustrie wurde durch eine Gruppe von CDU-Abgeordneten nach Lobbyeinfluss ausgebremst“ so lautet der Vorwurf der Briefverfasser.

Erst am 5. November hatte das Halterner Forum zusammen mit der KAB und dem KönzgenHaus in einer öffentlichen Online-Veranstaltung mit Pfarrer Peter Kossen und Helge Adolphs von der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten den Blick auf die unwürdigen Arbeitsverhältnisse in der Fleischindustrie gerichtet (wir berichteten). Auf der Website des Halterner Forums (www.forumdrv.de) ist die Veranstaltung als Video nachzuverfolgen, zusammen mit einem ARTE-Bericht über „das Schuften im Schlachthof“, das Pfarrer Peter Kossen sogar als „sklavenähnliche Verhältnisse“ bezeichnet.

„Noch im Sommer war durch die Corona-Fälle bei Tönnies und Westfleisch die Empörung auch bei den politischen Parteien über die jahrzehntelangen Missstände so groß, dass die Bundesregierung am 23. Oktober dem Bundestag einen Gesetzentwurf für ein Arbeitsschutzkontrollgesetz vorlegte, um damit die Werks- und Leiharbeit in der Fleischindustrie zu unterbinden“ erinnert Herbert Bludau-Hoffmann vom Halterner Forum, selber langjähriger Gewerkschafter beim ver.di-Landesverband NRW. „Doch eine Gruppe von CDU-Bundestagsabgeordneten fiel durch den Einfluss von Lobbyisten der eigenen Koalitionsregierung in den Rücken und vertagte die Beschlussfassung, um die Leiharbeit zu erhalten“, bemerkt der KAB-Bezirksvorsitzende Klaus-Dieter Amtmann fassungslos.

Minister Laumann wollte "den Sumpf austrocknen" und befürwortet stattdessen "Kompromisse"

Der heimische Bundestagsabgeordnete Michael Groß (SPD) kritisiert dazu auf Facebook den CDU-Landesminister Laumann, der zuvor das „parteiübergreifende Versagen“ bei den Zuständen in der Fleischindustrie beklagte und nach seinen Worten „den „Sumpf austrocknen wollte“, aber jetzt nach dem Lobbyeinfluss selber nur noch von „notwendigen Kompromissen“ im Gesetzesverfahren spricht.

Die Verfasser des offenen Briefes appellieren an die CDU-Bundestagsabgeordneten der einzelnen Landesbezirke in NRW, die am 23. Oktober in 3. Lesung zurückgestellte Gesetzesvorlage „unverzüglich und unverwässert in Kraft zu setzen, um die unhaltbaren Zustände für die Beschäftigten in der Fleischindustrie zugunsten würdiger Arbeitsverhältnisse zu beenden“. Sie erinnern die Abgeordneten an die „Ansprüche ihrer christlichen Partei“ und erwarten, „dass sie im bevorstehenden Bundestagswahljahr ihr persönliches Abstimmungsverhalten in dieser Sache transparent machen“.

Und hier der offene Brief aus Haltern im Wortlaut:

Offener Brief an die
• CDU-Bundestagsabgeordneten
          aus dem Münsterland, Niederrhein und Ruhrgebiet
• NRW-Landesgruppe der CDU im Bundestag
• CDU-Bezirksverbände Ruhr,
          Münsterland und Niederrhein
                                                                                                                                                            23.11.2020
                                
Betr.: Keine Verwässerung der Gesetzesinitiative zur Fleischindustrie
           (Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit)

Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

am 29. Oktober sollte und wollte der Deutsche Bundestag in letzter Lesung den begrüßenswerten und überfälligen Entwurf der Bundesregierung für das Arbeitsschutzkontrollgesetz in der Fleischindustrie verabschieden, das ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischindustrie vorsieht. Dieses wichtige Vorhaben wurde von allen Unionsministerinnen und -ministern sowie der Bundeskanzlerin unterstützt und sollte über die deutsche Ratspräsidentschaft auch als Thema in der EU behandelt werden. Auf Druck von Teilen der CDU/CSU wurde die Abstimmung im Bundestag nun verschoben, wie wir mit Unverständnis und Empörung erfahren haben.

Die Gegner*innen des Gesetzentwurfs wollen unter anderem das geplante Verbot von Leiharbeit in der Fleischindustrie verhindern. Das ist deshalb für die Betroffenen nicht akzeptabel, weil nicht nur Subunternehmer, sondern ebenso auch Zeitarbeitsfirmen für schlechte Arbeitsbedingungen und Gesetzesüberschreitungen verantwortlich sind, z.B. zu lange Arbeitszeiten, Lohnbetrug, miserable Wohnverhältnisse und insbesondere Masseninfektionen.
Wir sind mit den Gewerkschaften und Kirchen und vielen weiteren gesellschaftlichen Organisationen und Akteuren der Meinung, dass Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischbranche endlich abgeschafft werden müssen:

• In einem Offenen Brief des Deutschen Gewerkschaftsbundes DGB und der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten NGG zusammen mit vielen weiteren Unterstützern an die Regierungsfraktionen von CDU und SPD im Deutschen Bundestag heißt es dazu: „ Kaum sind die skandalösen Arbeitsbedingungen und die Masseninfektionen in der Fleischindustrie etwas aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden, greift die Fleischindustrielobby wieder an: Was während der 1. Lesung noch Konsens aller Parteien erschien (außer der AFD), ist nun plötzlich umstritten.“

• DGB-Chef Reiner Hoffmann und NGG-Chef Guido Zeitler haben Recht, wenn sie in einem Brief an die Abgeordneten der Regierungsfraktionen im Deutschen Bundestages schreiben: „Mitleid und Empörung allein helfen den Beschäftigten der Fleischindustrie nicht weiter, um Gefahr für Leib und Leben abzuwenden.“

• In einer Pressemitteilung von Pfarrer Kossen aus dem Bistum Münster zu einer von ihm kürzlich durchgeführten Protestaktion vor der CDU-Zentrale in Berlin heisst es: „Ausbeutung und Abzocke der Arbeitsmigrant*innen war viel zu lange möglich, weil zehntausende von ihnen „unter dem Radar“ von Aufsichtsbehörden und Kontrollen blieben. Mit krimineller Energie wurde und wird die Verantwortung für menschenwürdige Arbeits- und Lebensverhältnisse durch Sub-, Sub- Subketten und durch fragwürdige Vertragsverhältnisse atypischer, prekärer Beschäftigung unkenntlich gemacht..... Was der Gesetzgeber nicht erzwingt, wird die Fleischindustrie nicht verändern. Die Corona-Pandemie hat das Bewusstsein dafür geschärft, wie Frauen und Männer angemietet, mit schwerster Arbeit verschlissen und dann entsorgt werden – wie Maschinenschrott.“

Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) hat noch im Mai dieses Jahres parteiübergreifendes Versagen in Bezug auf die Abschaffung von Missständen in den Schlachtbetrieben festgestellt. „Heute ist es ausgerechnet Laumanns CDU, die das von Hubertus Heil vorgelegte Arbeitsschutzkontrollgesetz aufweichen will.....“ schreibt der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Groß in einem Facebook-Beitrag.

Wir schreiben Ihnen nicht zuletzt vor dem Eindruck einer Veranstaltung, die das Halterner Forum für Demokratie, Respekt und Vielfalt, der KAB-Bezirksverband Recklinghausen, der KAB-Diözesanverband Münster und das Könzgenhaus in Haltern am See durchgeführt haben: Auf dieser Veranstaltung konnten Pfarrer Peter Kossen und der NGG-Geschäftsführer für das Münsterland, Helge Adolphs, eindrücklich schildern, welche Zustände in der Fleischindustrie herrschen und das wir dringend ein nicht verwässertes Arbeitsschutzkontrollgesetz brauchen.

Deshalb unsere eindringliche Bitte und Forderung: Setzen Sie sich bitte dafür ein, dass das vorgelegte Arbeitsschutzkontrollgesetz schnellstmöglich umgesetzt und die unhaltbaren Zustände in der Fleischindustrie für die Betroffenen beseitigt werden.

Folgen Sie Ihren eigenen Ansprüchen als christliche Partei, indem Sie – unabhängig von Lobby-Interessen – für menschenwürdige und gerechte Arbeitsbedingungen eintreten und dem vorgelegten Entwurf für das Arbeitskontrollgesetz ohne Abstriche zustimmen, damit es in vollem Umfang ohne weitere Verzögerungen in Kraft treten kann.

Bitte lassen Sie uns und die Öffentlichkeit in transparenter Weise wissen, wie Sie persönlich als Abgeordnete oder Abgeordneter in dieser Frage votieren. Denn das Thema wird im Bundestagswahljahr die Gemüter weiter bewegen und es könnte der verheerende Eindruck entstehen: Die CDU hält nicht Wort und beugt sich der Fleischindustrie und deren Lobby zum Nachteil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Die Jahrzehnte dauernde unwürdige Situation in den Schlachthöfen würde weiter andauern, wenn sich die CDU/CSU-Fraktion nicht traut, eindeutige Konsequenzen zu ziehen. Wir fordern Sie deshalb auf, sich nachdrücklich gegen eine Verwässerung und Verzögerung des Gesetzentwurfes zu wehren!

Mit freundlichen Grüßen

für die Verfasser

gez. Herbert Bludau-Hoffmann (Halterner Forum)                                           

gez. Klaus-Dieter Amtmann (KAB-Bezirksvorsitzender)                                                                

 Rückantwort an: KAB-Regionalbüro Dülmen, Bahnhofstr. 36, 48249 Dülmen, Email: regio-duelmen@kab-muenster.de Tel. 02594/894200. Fax: 02594/89420-77

Verteiler:

CDU-Bundestagsabgeordnete Münsterland:
• MdB Minister Jens Spahn (Wahlkreis Borken I / Steinfurt II)
• MdB Johannes Röring (Wahlkreis Borken II)
• MdB Mark Henrichmann (Wahlkreis Coesfeld/Steinfurt II) /stv. Vorsitzender CDU-Bezirk Münsterland
• MdB Ministerin Anja Karliczek (Wahlkreis Steinfurt III)
• MdB Sybille Benning (Wahlkreis Münster)/stv. Vorsitzende CDU-Bezirk Münsterland
• MdB Reinhold Sendker (Wahlkreis Warendorf)
• MdEP Dr. Markus Pieper (Europaabgeordneter für das Münsterland)

CDU-Bundestagsabgeordnete des CDU-Bezirksverbandes Ruhr (und Arbeitsgruppe Ruhrgebiet in der CDU):

• MdB Marie-Luise Dött
• MdB Matthias Hauer
• MdB Paul Ziemiak (Bundesgeschäftsführer)
• Dr. David Schuman (Geschäftsführer der Arbeitsgruppe Ruhrgebiet in der CDU/CSU-Fraktion)

CDU-Bundestagsabgeordnete Ostwestfalen Lippe:
• MdB Carsten Linnemann (Wahlkreis Paderborn/Gütersloh III)
• MdB Christian Haase (Höxter-Lippe I)

CDU-Landesgruppe NRW im Deutschen Bundestag
• MdB Dr. Günter Krings (Vorsitzender)
• MdB Oliver Wittke (stellv. Vorsitzender, Wahlkreis Gelsenkirchen)
• MdB Ralph Brinkhaus (Fraktionsvorsitzender, Wahlkreis Gütersloh) /
          zugleich Vorsitzender CDU- Bezirksverband Ostwestfalen-Lippe
• MdB Sabine Weiss (Wahlkreis Wesel)

Vorstand des CDU-Bezirksverbands Ruhr
• MdB Oliver Wittke (Vorsitzender, Wahlkreis Gelsenkirchen)
• Benno Portmann (stellv. Vorsitzender, Recklinghausen)
• Ludger Jägers (Geschäftsführer)
• Prof. Dr. Norbert Lammert (Ehrenvorsitzender; Bundestagspräsident a.D.)
• Michael Breilmann (CDU-Kreisvorsitzender Recklinghausen)

Vorstand CDU-Bezirksverbands Münsterland:
• Karl-Josef Laumann (Vorsitzender; Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW)
• Henning Rehbaum (stellv. Vorsitzender)
• Prof. Dr. Josef Gochermann (Schriftführer)
• Oliver Teuteberg (Pressesprecher)

Vorstand CDU-Bezirksverband Niederrhein:
• MdB Dr. Günter Krings (Vorsitzender)
• MdB Hermann Gröhe (stellv. Vorsitzender)
• MdL Dr. Markus Optendrenk (stellv. Vorsitzender)
• MdB Kerstin Radomski (stellv. Vorsitzende)
• MdB Stefan Rouenhoff (stellv. Vorsitzender)
• Marie-Luise Fasse (stellv. Vorsitzende)
• Tanja Jordans (Geschäftsführerin)

Gesonderter Medien-Verteiler
• Redaktionen aller Regional- und Lokalzeitungen NRW
• WDR und Lokalradios/Bürgerfunk
• Kirchenzeitungen der Bistümer
• Gewerkschaftszeitungen
• Online-Medien

Gewerkschaften zur Mitkenntnis und Unterstützung:
• NGG NRW (Vorsitzender Mohammed Boudih, stellv. Vorsitzende Isabell Mura, Regionalsekretär Helge Adolphs)
• Ver.di Landesbezirk NRW und Bezirke (Münsterland, Mittleres Ruhrgebiet, Niederrhein und Ostwestfalen-Lippe)
• DGB Region (Bezirke Emscher-Lippe/Münsterland/Niederrhein)

Autor:

Wilhelm Neurohr aus Haltern

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