Über das Leben von Fußballlegende Jupp Martinelli
Ich gehe nicht vom Platz

Jupp / Josef Martinelli an seinem Stern am Tivoli
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Über Alemannia Aachens Rekordspieler Josef-Jupp Martinelli ist bereits viel geschrieben worden, vor allem über seine sportlichen Erfolge.

Am 23.09.2022 hatte ich die Gelegenheit, mit Herrn Martinelli und seiner Frau Erika in seinem Haus in Herzogenrath-Kohlscheid zu sprechen.

Beim Spiel von Alemannia Aachen bei Rot- Weiß Essen vor 58 Jahren soll Alemannia Aachen Spieler Jupp Martinelli das Spielfeld verlassen. Angeblich soll er etwas zum Schiedsrichter Berger gesagt und ihn beleidigt haben. Zuvor erhielt Rot- Weiß Essen beim Stand von 1:1 einen Elfmeter zugesprochen, der aber über das Tor geschossen wurde. Jupp Martinelli will einfach nicht vom Platz. Schließlich wird er nach fünf Minuten von Platzordnern und Polizei vom Spielfeld abgeführt. Alemannia Aachen gewann das Spiel in Essen. Dennoch war es ein historischer, bewegender Moment im März 1964, den Aachens Rekordspieler und Torjäger bis heute niemals vergessen sollte. Aber auch seine Freunde und Fans haben diese Geschichte von dem Platzverweis des eher bescheidenden, ruhigen Jupp Martinelli nicht vergessen.

„Einige“ Jahre später in Essen.

Am 16.11.2019 verliert Aachen bei Rot-Weiß Essen mit 3:0. Und wieder ist Jupp Martinelli, Jahrgang 1936, als Zuschauer vor Ort und wird diesmal von zwei Polizisten vom Stadiongelände geführt. Diese entspannte Situation in Anlehnung an damals wird diesmal von seinen Tivoli Freunden von Tisch 1 organisiert. Die Inszenierung unterstützen zwei freundliche Polizisten, welche sich hilfsbereit Jupp an die Seite nehmen und zum Parkplatz geleiten. Tatsächlich hatte Jupp an diesem Tag ein paar Probleme, mit seinen Aachener Begleitern etwas Schritt zu halten. Da kam die polizeiliche Unterstützung gerade recht. Jupp hatte nichts dagegen und ließ sich diesmal freiwillig und amüsiert von der Polizei begleiten. Beide Polizisten lernten in diesen Minuten mit Hochachtung, wen sie da eigentlich liebevoll im Arm hielten.

Diese schon etwas außergewöhnliche und schöne Szene von Jupp Martinelli und der Polizei hielt Melanie Kerkhoff mit einer Fotoaufnahme fest.

Bei dieser Szene in Essen im Jahr 2019 wird eigentlich das ganze Wesen von Jupp Martinelli sehr deutlich:

Bescheidenheit, Humor, Gerechtigkeitssinn, Fairness, Zielstrebigkeit und Respekt anderen Menschen gegenüber prägen sein Leben.

Bis heute unverändert.

Am 30.11.2019 erhielt Jupp Martinelli von seinen Freunden von Tisch 1 und Melanie Kerkhoff das Foto als großes Bild zu seiner großen Überraschung überreicht.

Das Foto hat heute einen Ehrenplatz in seinem (Alemannia Arbeitszimmer) in seinem Haus in Herzogenrath-Kohlscheid. Hier wohnt er seit über 55 Jahren mit seiner Frau Erika.

In seinem deutlich vom Fußball geprägten Arbeitszimmer hat Jupp viele Andenken an seine Zeit bei Alemannia Aachen aufbewahrt. Hier gerät er ins Schwärmen über die erlebte Zeit bei der Alemannia von 1954 bis 1970. Jupp zeigt sich dankbar dafür. Nichts ist für ihn selbstverständlich.

Neben dem Platzverweis von 1964 in Essen ärgerte Jupp kaum noch etwas, bis auf eine weitere Episode.

Leider spielte Alemannia Aachen nicht seit 1963 in der ersten Bundesliga. Für Jupp eine große Ungerechtigkeit. Der Vorsitzende des 1. FC Köln war damals Mitglied im Bundesligaausschuss und verhinderte die Aufnahme des TSV in die 1. Bundesliga.

Alemannia Aachen hatte diesen Wettbewerbsnachteil zu verkraften und spielte von 1967 bis 1970 in der ersten Bundesliga.

Hin und wieder stand Jupp auch mal als Ersatztorwart im Tor und absolvierte Torwart-trainings.

Auswechselspieler gab es damals noch nicht. War jemand verletzt, spielte dieser weiter oder musste vom Platz. Jupp hatte mit Verletzungen Glück. „Nur“ dreimal wurde ihm in den vielen Jahren die Nase gebrochen und Jupp spielte einfach mit gebrochener Nase und aufgeplatzter Augenbraue weiter, nachdem er für fünf Minuten auf der Bank sitzen durfte und der Trainer mit einem Handtuch die blutende Wunde behandelte.

Von diesem Glück profitiert Jupp heute noch, wenn er trotz künstlicher Hüften mit seiner Frau lange Fahrradtouren in der Umgebung unternimmt. Mittlerweile sind beide auf E-Bikes umgestiegen und sind so noch wesentlich flexibler.

141 Tore erzielte Jupp Martinelli in seiner Zeit für Alemannia Aachen. Darunter zu seiner großen Freude einige Tore gegen den 1.FC Köln.

1968 wurde er mit seinem Team Vizemeister. In demselben Jahr spielte er bei einer Südamerika Tour des TSV im Maracana-Stadion in Rio de Janeiro. Damals passten da 200.000 Besucher rein !

Es ist beeindruckend, wem Jupp Martinelli in seiner aktiven Fußballzeit als Spieler begegnete und mit ihnen zusammenspielte. Dabei waren legendäre Spieler wie Vladimir Beara, Bert Trautmann, Jupp Derwall, Franz Beckenbauer, Sepp Maier, Gerd Müller, Branko Zebec.

Bei Vladimir Beara gerät Jupp Martinelli noch ins Schwärmen. Der Weltkeeper spielte für die Alemannia auf dem Tivoli.

An Jupp‘s 85. Geburtstag klingelte bei ihm das Telefon und „Kaiser“ Franz Beckenbauer gratulierte ihm höchstpersönlich zum Geburtstag. So ist das eben unter Fußballlegenden.

Nach den Spielen ging es oft mit der Mannschaft und der Gastmannschaft in die Aachener Femina-Bar. Dort wurde gemeinsam gefeiert und Freundschaften geschlossen. Beispielsweise im Jahr 1955, als Alemannia Aachen sensationell in einem Freundschafts-spiel mit 4.2 gegen Manchester City mit Bert Trautmann siegte.

Vor kurzem sah Jupp mit seiner Frau Erika die Kinoverfilmung des Bert Trautmann im Fernsehen und zeigte sich sehr beeindruckt und bewegt über Bert Trautmanns Leben und Fußballkarriere nach dem zweiten Weltkrieg in England.

Wer erinnert sich nicht an die Hamburger Sturmflut am 16.02.1962 ?

Während die Nordsee tobte und Hamburg in der Sturmflut unterzugehen drohte, fuhr Jupp Martinelli mit seinem Team mit dem Schiff über den tobenden Kanal nach England. Dort sollte am darauffolgenden Tag ein Freundschaftsspiel gegen Ipswich Town stattfinden.
Das gesamte Team der Alemannia wurde seekrank und überstand gerade einmal die Überfahrt nach England. Wen wundert es, dass das Spiel in Ipswich mit 5:0 verloren ging? Alemannias Spieler hatten kaum noch Kraft und konnten nur noch Schadenbegrenzung betreiben.
Trainer von Ipswich Town war 1962 Sir Alfred "Alf" Ernest Ramsey, der die englische Nationalmannschaft 1966 zum Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft führte.

Seitdem hat es Jupp nicht so mit der Seefahrt. Eine Kreuzfahrt mit dem Schiff wäre für ihn ausgeschlossen.

Das Rückspiel gegen Ipswich Town in Aachen verloren die Schwarz Gelben auch, hatten aber anschließend beim Feiern gemeinsam mit dem Ipswich Team viel Spaß.

Jupps Lieblingsziel ist und bleibt Mallorca. Gemeinsam mit seiner Frau Erika hat er die ganze Insel bereist und sehr oft mit dem Flugzeug besucht.

Kennen die aktuellen Spieler die alten Spielerlegenden wie Jupp Martinelli und deren Leistungen für ihren Verein ?

Seit 2014 ist Jupp bei der Alemannia Aachen Ehrenmitglied und besucht regelmäßig die Spiele der Alemannia in Aachen.

Jupp nimmt es gelassen. Es sei wohl der schnelllebigen, kommerziellen Zeit geschuldet, dass keiner der jungen Spieler ihn noch kennen würde. So ist er eben. Alles hat seine Zeit.

Wenn man früher Menschen wie Jupp Derwall oder Reinhold Münzenberg traf, dann unterhielt man sich, kommunizierte miteinander. Man ging wertschätzend miteinander um.

Entweder kamen die Spieler von Marl Hüls oder aus der Region zum TSV Alemannia Aachen.

Es war persönlicher, einfach menschlicher. Anders, als heute.

Mit den heutigen, wenigen Spielerlegenden gibt es leider heute keine Treffen mit ehemaligen Spielern. Sicherlich würde das den jungen Spielern guttun.

Warum eigentlich nicht? Man könnte viel voneinander lernen und davon profitieren.
Bei einem der letzten Heimspiele gab es für Jupp eine Überraschung, als der aktuelle Trainer Helge Hohl (31) im VIP – Raum Jupp Martinelli erkannte, persönlich herzlich begrüßte und umarmte.

Geht doch.

Eines Tages entdeckte Jupp auf dem Platz vor dem TIVOLI Stadion einen nach ihm benannten Stern auf dem Boden. Er freut sich sehr, dass er bereits zu Lebzeiten mit einem Stern am Stadion geehrt wurde. Vor dem Eingang zur Westtribüne wurden die Namen der Aufstiegsmannschaft von 1967 und 2006 im Boden verewigt.

Was war für Jupp Martinelli ein Highlight in seinem Fußballerleben?

Ganz klar der Aufstieg in die erste Bundesliga im Jahr 1967.

Der Aufstieg, mit dem Korso durch Aachen, das war ein besonderes Erlebnis. Die vielen Menschen, das war ein sehr emotionales Erlebnis. Dieses einmalige Erlebnis teilt Jupp mit seiner Frau Erika, die immer an seiner Seite ist.

Jupp absolvierte eine Ausbildung bei der Stadt Aachen, schlug die Ausbildung für den gehobenen Dienst ein und wurde Amtsleiter. Ein guter Plan, denn damals ließ sich mit Fußball noch kein Geld verdienen.

Dreimal wurde Jupp vom Platz gestellt, einmal berechtigt, zweimal unberechtigterweise – nach Jupps Meinung.

Alles gut.

Diese minimale Anzahl der Platzverweise spricht für seine Art als Spieler.

Bis zum Alter von 76 Jahren spielte Jupp noch in der Traditionsmannschaft von Alemannia Aachen.

Den Platz, seinen Platz auf dem Tivoli in Aachen, wird er niemals verlassen. Diesen Platz hat er in den Herzen der Alemannen für immer und ewig.

Apropos Platz: Bis 1999 wies der Platz auf dem TIVOLI ein leichtes Gefälle auf. Jupp spielte am Liebsten wie alle anderen bergab.

Mit seinem Einsatz für die Alemannia Aachen hat er den Grundstein für spätere Erfolge gelegt, gemeinsam mit seinen bereits vorangegangenen Teamkollegen.

Seinen Platz hat er nie verlassen und wird ihn nie verlassen.

Es ist schön, Jupp Martinelli und seine Frau Erika bei jedem Heimspiel am Tisch 1 auf dem TIVOLI zu treffen, über das Spiel zu reden, über die Zukunft und über vergangene Zeiten, nicht nur über Fußball, sondern über das Leben.

Autor:

Andreas Vogt aus Düsseldorf

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