Amazon, Lebensmittelbetrug: Erzählt mir keinen vom Pferd!

Selbst Pferde(fleisch)witze hängen einem langsam zum Hals heraus.

Geht es Euch/Ihnen auch so: Sobald das Wort Pferdefleisch in Radio, Fernsehen oder Zeitung auftaucht möchte man wiehern und davonlaufen. Kann ich verstehen. Nicht nur weil hier wieder das bekannte Medienritual abgespult wird: Thema in Talkshows, Brennpunkten so lange zerreden, bis es den Leuten zu den Ohren herauskommt.

Was mich besonders an dieser Meinungsmache aufregt: Als hätten sich sämtliche Leitartikler, Kommentatoren und Talkmaster abgesprochen, benutzen alle penetrant dasselbe Argumentationsschema. Ob Amazons ganz spezielle Ausbeutungsmethoden oder Pferdefleisch in Fertig-Lasagne - schuld an diesen Skandalen sei vor allem der Verbraucher. Er habe es in der Hand, ob Amazon ausbeutet oder Lebensmittelkonzerne die Konsumenten betrügen. Dazu findet sich auf der Internetseite der Verbraucherschutzorganisation „foodwatch“ ein guter Artikel, aus dem ich hier zitieren möchte:

Egal ob Gammelfleisch im Döner, Dioxin im Ei oder Pferd in der Rinderlasagne – bei jedem neuen Lebensmittelskandal heißt es reflexartig wieder: Der Verbraucher ist mit seiner „Geiz ist geil-Mentalität" selber schuld. Wer immer nur „billig, billig“ einkauft, muss sich nicht wundern, wenn er schlechte Produkte bekommt und belogen und betrogen wird.
So weit, so einfach. Doch diese Argumentation greift zu kurz – und lenkt den Blick weg von den eigentlichen Problemen. Politik und Lebensmittelbranche schieben den Verbrauchern nur zu gerne die Verantwortung für eigene Verfehlungen in die Schuhe. Richtig ist: Der Kunde ist im Lebensmittelmarkt keinesfalls der König, der mit seinen Kaufentscheidungen Angebot und Produktionsweise bestimmen kann.

Täuschung ist keine Frage des Preises: Nicht deklariertes Pferdefleisch ist in Nestlé-Produkten genauso aufgetaucht wie in billigen No-Name-Artikeln. Etikettenschwindel ist gerade bei teuren Markenprodukten nachgewiesen worden (probiotische Joghurts, Kinderprodukte etc.).

Qualität ist nicht am Preis messbar: Bei Lebensmitteln ist teuer nicht automatisch gut und billig nicht automatisch schlecht. Bei einer billigen No-Name-Lasagne und einer teuren Marken-Lasagne handelt es sich mitunter sogar um das gleiche Produkt in identischer Qualität aus derselben Produktion.

(Den kompletten Artikel kann man hier nachlesen: http://foodwatch.de/kampagnen__themen/pferdefleisch_skandal/aktuelle_nachrichten/geiz_debatte/index_ger.html)

Das ständige Konsumenten-Bashing ist nicht nur allzu simpel, es vertauscht vor allem Ursache und Wirkung und die, die eigentlich am Pranger stehen müssten, die Amazon, Nestle, Unilever usw. werden auf wundersame Weise aus der Schusslinie genommen. Oder man versucht uns mit einer moralinsauren Argumentation einzureden, wir hätten es mit Boykott oder anderen Maßnahmen in der Hand, die Macht dieser Monopole zu brechen. Wen soll ich denn alles boykottieren? Die Konzerne der Lebensmittelindustrie, die uns nicht nur systematisch belügen und betrügen und mit minderwertiger Nahrung versorgen wohl auf jeden Fall. Die Textilkonzerne sicher auch, und zwar egal ob Billigmarke KiK oder Nobelmarke Adidas, da sie bei der Produktion in Asien buchstäblich über Leichen gehen. Nicht zuletzt die Energiekonzerne, die mit ihrem Festhalten an fossilen Energieträgern die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen auf dem Planeten billigend in Kauf nehmen.

Boykott verändert da gar nichts, außer dass ich dann so sehr mit meinem persönlichen Existenzkampf um Nahrung, Kleidung, Wärme und Behausung beschäftigt wäre, dass ich nicht mehr gegen diese Verhältnisse ankämpfen könnte. Darauf kommt es aber an. Hundert Mal wichtiger als Boykottaufrufe ist es, dass solche Machenschaften öffentlich werden. Und Tausend Mal mehr als jeder Boykott verändert der Kampf wirklich etwas. Und dieser Kampf hat auch bei Amazon schon seit längerem begonnen, indem sich immer mehr Beschäftigte gewerkschaftlich organisieren und indem jetzt in Augsburg und Rheinberg Betriebsräte gewählt werden.

Nicht der Wunsch der Verbraucher nach preiswerten Waren bringt diese Auswüchse hervor, sondern das Profitprinzip und der damit untrennbar verbundene gnadenlose Konkurrenzkampf der Konzerne. Es sind also die Grundfesten dieser Wirtschaftordnung, die hier in Frage stehen.

Autor:

Bodo Urbat (Essen steht AUF) aus Essen-Nord

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