Immer mehr junge Menschen mit Essstörungen
38 Kilo auf 1,75 Meter

Immer weniger essen, immer mehr Sport: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) warnt, dass Soziale Netz­werke die Entwicklung einer Ess­störung fördern können. Foto: Pixabay
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  • Immer weniger essen, immer mehr Sport: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) warnt, dass Soziale Netz­werke die Entwicklung einer Ess­störung fördern können. Foto: Pixabay
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"Skinny/ Anorexic Freundin gesucht, Alter irrelevant": So suchte jetzt im Raum Bochum ein gewisser "Sam86" weibliche Kontakte. Anorexie, auch besser bekannt als Magersucht, ist eine Ernst zu nehmende, lebensgefährliche Krankheit, welche keinesfalls als ein "Datingkriterium" genutzt werden sollte. Dass so eine Annonce nur die Spitze eines Eisberges ist, zeigt eine Studie der Organisation reset.tech*.

Unter die Lupe genommen wurde "Thinstagram", ein vergleichsweiser kleiner, aber gefährlicher Teil von Instagram, in dem Magersucht glorifiziert wird. In einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" wurde über die Ergebnisse der Studie berichtet. Erschreckendes Ergebnis: Es brauchte dort nur einen Fake-Account auf Instagram und sechs Fotos eines abgemagerten Mädchens, um 900 Follower zu gewinnen und die Aufmerksamkeit dubioser Männer anzuziehen. Wie die SZ weiter berichtete, meldete sich bereits am vierten Tag des Experiments der erste selbsternannte "Ana-Coach" per Direktnachricht.

900 Follower in kurzer Zeit

Hinter diesen Accounts verbergen sich meist Männer, die vorgeben, den Mädchen beim Abnehmen helfen zu wollen. Sie verlangen dafür Fotos, angeblich um die Fortschritte beim Gewichtsverlust zu kontrollieren. Oft belästigen sie die betroffenen Teenager auch oder drohen mit sexualisierter Gewalt. Die Organisation Reset.tech fand zudem heraus, dass manche von den Männern Instagram nutzen, um mit Jugendlichen in Kontakt zu kommen, und dann versuchen, die Kommunikation über Messenger wie Telegram fortzusetzen - dort sei das Risiko noch geringer, entdeckt zu werden.

Kommunikation über Telegram

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) warnt, dass Soziale Netz­werke die Entwicklung einer Ess­störung fördern können. „Einige Influencerinnen und Influencer kommunizieren im Netz ihr persönliches Ideal von einem schönen Körper, einer gesunden Ernährung oder guter Fitness und bringen Follower dazu, ihr Ess­verhalten zu ändern und für eine ‚perfekte‘ Körper­form zu trainieren“, heißt es von der BZgA. „Dabei vergessen Follower häufig, dass viele Aktivitäten geschönt dargestellt werden. Fotos oder Videos lassen sich heutzutage leicht bearbeiten und zeigen eine Welt fernab der Realität.“ Und besonders junge Menschen gelten als anfällig für die algorithmisch unterstützte Sog­wirkung sozialer Platt­formen.

"Ich will mein Leben zurück"

„Ich will mein Leben zurück! Deshalb bin ich hier“, so beschreibt Ricarda Schwarz (Name geändert) ihre Motivation für eine stationäre Therapie. Die 17-Jährige kam im vergangenen Jahr als Patientin in die Marler Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). Ihre Diagnose: Anorexia Nervosa, auch als Magersucht bekannt. Ihr Gewicht bei der Aufnahme: 38 Kilo bei einer Größe von 1,75 Meter. Vorher war sie mit 85 Kilogramm leicht übergewichtig und wollte eigentlich nur ein paar Kilos abnehmen. Daran, dass sie massiv abgenommen habe, trage neben den sozialen Netzwerken auch die Corona-Pandemie einen Anteil, so Ricarda. So wie ihr geht es inzwischen zahlreichen Jugendlichen: Die LWL-Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie verzeichnet in der Corona-Pandemie eine Steigerung der Zahl von Magersucht-Patientinnen.

Corona sorgt für mehr Magersucht-Patienten

 „Die Zunahme der Magersuchtsfälle zeigt, wie Coronafaktoren und die typischen Ursachenbündel an der Entwicklung einer psychischen Störung zusammenwirken“, erklärt LWL-Krankenhausdezernent Prof. Dr. Meinolf Noeker. „Wenn unter Corona alles andere wegbricht, wird das Kümmern um das eigene Aussehen zur einzig verbliebenen, aber gefährlichen Quelle für Zuwendung, Erfolgserlebnis und Sinn“, so Noeker. „Eine solche Verengung und Verzerrung des eigenen Blicks wäre bei vielen Betroffenen vielleicht auch ohne Corona passiert, aber Corona lässt sie schneller in einen solchen Sog hineingeraten und lässt die Spirale dann umso schneller drehen“, erläutert Noeker, der auch approbierter psychologischer Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapeut ist.

Gewichtsverlust von 15 bis 20 Kilo

Diese Beobachtung habe sie selbst auch schon in ihrem Arbeitsalltag gemacht, so Dr. Christiane Abdallah, Oberärztin in der LWL-Klinik Marl-Sinsen. „Wir erleben hier einen starken Anstieg von Patientinnen und Patienten, die mit einem Gewichtsverlust von 15 bis 20 Kilo innerhalb weniger Monate in unsere Klink kommen.“

Lernen, was eine "normale" Mahlzeit ist

Die LWL-Klinik Marl-Sinsen verfügt über zwei Spezialstationen, auf denen Patientinnen und Patienten mit einer Essstörung therapeutische Hilfe erhalten. Hier lernen die jungen Menschen unter anderem wieder eine normale Mahlzeit einzuschätzen, Zum therapeutischen Angebot gehören unter anderem Einzel- und Gruppentherapien, ein soziales Kompetenztraining sowie unterschiedliche Fachtherapien wie Kunst-, Musik- und Reittherapie. Falls erforderlich, erfolgt eine medikamentöse Behandlung. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Therapie ist die Elternarbeit. So nehmen die Bezugspersonen zum Beispiel an Elterngesprächen teil und haben die Möglichkeit auf der Station oder in den Fachtherapien zu hospitieren.

*Reset.tech ist eine Initiative, die sich für eine strengere Regulierung der großen Technologie-Konzerne einsetzt. Sie erhält unter anderem Geld von Luminate, eine Organisation, die der eBay-Gründer - und inzwischen Tech-Kritiker - Pierre Omidyar unterstützt. (Quelle: Tagesschau.de)

Eine kleine Auswahl an Hilfen im Netz für Eltern und Jugendliche:
https://www.anad.de/
https://www.der-weg-nach-vorne.de/

Autor:

Michael Menzebach aus Haltern

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