Leben mit hochbegabten und hochsensiblen Kindern
Umzug löste Tic aus

Wie sieht der Familienalltag mit zwei hochbegabten und hochsensiblen Kindern aus? Eine Familie aus Essen erzählt. | Foto: Symbolbild: 460273 auf Pixabay
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  • Wie sieht der Familienalltag mit zwei hochbegabten und hochsensiblen Kindern aus? Eine Familie aus Essen erzählt.
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Mit einer Hochbegabung geht in vielen Fällen eine Hochsensibilität einher. Die Kinder nehmen intensiver wahr als andere - ob beim Riechen, Schmecken, Fühlen, Hören oder Sehen. Eine Familie aus Essen erzählt aus dem Alltag mit zwei hochbegabten und hochsensiblen Kindern. 

Katja* erinnert sich gut an den Umzug ins Eigenheim. Sohn Noah* war damals drei Jahre alt und reagierte auf die neue Wohnsituation und den damit verbundenen Stress zum ersten Mal mit einem Tic - er schob den Unterkiefer von links nach rechts und zurück. Der Kinderarzt riet, es zu ignorieren und nach wenigen Wochen war er tatsächlich verschwunden. 

Tiefgreifende Veränderungen brachten mehrere Tics

Im letzten Kita-Jahr kamen mehrere Veränderungen zusammen: Viele von Noahs Freunden wurden eingeschult, seine Schwester wurde geboren, die Uroma und der Hund der Großeltern starben. Wieder reagierte er mit Tics, diesmal aber mit gleich mehreren: Neben dem zuvor gezeigten Kiefer-Verschieben kamen Augenzwinkern und Räuspern hinzu. "Das hat uns alarmiert", sagt die Mutter. Aber fast so schnell, wie die Tics auftraten, verschwanden sie auch wieder. 

Vor der Einschulung übergeben

Inzwischen ist Noah zehn und seine Eltern wissen: Wenn es stressig wird - das kann auch positiver Stress wie Weihnachten sein - reagiert ihr Sohn mit körperlichen Symptomen. Als er einmal einen Kinderfilm geschaut hat, in dem ein Käfer von einem Staubsauger eingesaugt wurde, saß Noah zitternd vor dem Fernseher. Die Nacht vor der Einschulung hat er nur gebrochen.
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Coronazeit war besonders schlimm

Und ganz schlimm war die Coronazeit. "Sein Verhalten entwickelte sich meiner Meinung nach in Richtung einer Depression", erinnert sich Katja. "Noah hat nur Hörspiele gehört und sich sehr viele Gedanken gemacht, er war wirklich unglücklich." Das war der Moment, als die Eltern beschlossen, ihn einer Kinderpsychologin vorzustellen. Dort gab es keine Diagnose im klinischen Sinn, sondern die Feststellung, dass Noah nicht nur hochsensibel, sondern auch hochbegabt ist.

Gutes Gespür für die Kinder

Seitdem geht es in der Familie wieder bergauf. Katja und ihr Mann wissen selbst, wie es sich anfühlt, hochsensibel zu sein, und können sich gut in ihre Kinder hineinversetzen. Denn auch Noahs kleine Schwester Nele weist beide Merkmale, Hochsensibilität und Hochbegabung, auf. Bei ihr zeigte sich die Hochsensibilität schon im Babyalter. "Nele hat nicht einen Löffel Brei gegessen", sagt Katja. Die Konsistenz war ihr zuwider - und so stieg sie von Milch gleich auf feste Nahrung um.

Vorbeifahrendes Müllauto löst Würgereiz aus

Als sie einmal mit ihrer Mutter mit dem Fahrrad zur Kita fuhr und ein Müllwagen die Beiden passierte, wurde Nele blass, sprang vom Rad und begann zu würgen. Der Geruch des Abfalls hatte einen Brechreiz ausgelöst - genauso wie das Tragen eines Schals. "Regelmäßig werde ich von anderen Eltern gefragt, warum Nele auch im Winter einen unbedeckten Hals hat", erzählt Katja. Geduldig erklärt die 39-Jährige immer wieder, dass Nele das Gefühl, etwas um den Hals zu haben, nicht mag. Ob die Fragenden das so hinnehmen oder hinter ihrem Rücken die Augen verdrehen, weiß Katja nicht. 

Unverständnis im Kindergarten

Sie hatte aber auch schon etliche Situationen, in denen das Unverständnis offen zu Tage trat. Etwa, als Nele nach einer längeren Eingewöhnung in der Kita eines Morgens nur schrie und weinte, weil sie wieder mit nach Hause wollte. "Ich wusste, dass Nele eine Stimmung in der Gruppe wahrgenommen hatte, die zu ihrem Unwohlsein führte. Deshalb beschloss ich, sie wieder mit nach Hause zu nehmen." Die Erzieher argumentierten dagegen, Katja müsse standhaft bleiben, sonst würde sich Neles Verhalten nun täglich wiederholen. Aber am nächsten Tag ging Nele wieder freudig in den Kindergarten.

Schilder müssen aus Kleidung entfernt werden

Nele profitiert von den Erfahrungen, die die Eltern mit Noah gemacht haben. "In den ersten Jahren kam es schon vor, dass wir zu ihm gesagt haben ,da musst du durch' oder ,so schlimm ist das doch nicht'", weiß Katja. Heute versteht sie, dass ihre Kinder vieles anders empfinden - dass sie zum Beispiel etwas länger brauchen, um sich in fremden Situationen zurechtzufinden. Dass ihnen Kita und Schule oft zu laut sind. Dass Schilder kratzen und aus der Kleidung entfernt werden müssen. Dass die blendende Sonne im Auto ein Drama auslösen kann. Dass Zähneputzen kratzig und unangenehm im Mund empfunden wird oder dass man die Hände auf gar keinen Fall mit Sonnencreme einschmieren darf. 

"Vor allem die Hochbegabung stresst"

Innerhalb der Familie haben die Bedürfnisse der Kinder ihren Platz bekommen. "Die Hochsensibilität ist für uns normal, sie gehört einfach dazu", sagt Katja. Auch der Freundes- und erweiterte Familienkreis akzeptiert das. Schwierig wird es, wenn diese Merkmale auf die Außenwelt treffen. "Vor allem die Hochbegabung stresst", sagt Katja, die schlechte Erfahrungen mit Noahs Grundschule gemacht hat. "Gleich im ersten Gespräch, in dem ich die Hochbegabung offengelegt habe, sagte man mir, jetzt werde es schwierig. Inzwischen ist man dort sogar der Meinung, Noah bräuchte Medikamente." Diese Erfahrung führt bei Katja dazu, dass "sie mit dem Thema auf schulischer Ebene so lange still hält wie irgend möglich." Wie lange das bei Noah auf der weiterführenden Schule gelingt, ist offen. Er fällt durch unruhiges Verhalten auf, fragt viel, fordert ein. 

Tochter sehr angepasst

Seine Schwester ist ganz anders. Sie fällt kaum auf, ist ruhig, vorsichtig und angepasst. Als sie einmal versehentlich einer Erzieherin auf den Fuß getreten ist, ließ sie das Thema und ihr schlechtes Gewissen drei Wochen lang nicht los. Hochsensibel eben.
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*Katja, Noah und Nele sind erfundene Namen. Wir respektieren den Wunsch der Familie, die Geschichte anonym zu erzählen, um die Kinder zu schützen. Der Redaktion ist der richtige Name bekannt.

Wie sieht der Familienalltag mit zwei hochbegabten und hochsensiblen Kindern aus? Eine Familie aus Essen erzählt. | Foto: Symbolbild: 460273 auf Pixabay
Autor:

Miriam Dabitsch aus Velbert

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