Experten-Interview
Nicht selten ändert ein IQ-Test das ganze Leben

"Die Intelligenz ist ein starkes Persönlichkeitsmerkmal. Nur wenige wissen, welche Ausprägungen dieses im Erleben und Verhalten hat", sagt Andrea Steinforth. Ein IQ-Test kann helfen zu verstehen, warum man sich "anders" fühlt.  | Foto: Pete Linforth/Pixabay
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  • "Die Intelligenz ist ein starkes Persönlichkeitsmerkmal. Nur wenige wissen, welche Ausprägungen dieses im Erleben und Verhalten hat", sagt Andrea Steinforth. Ein IQ-Test kann helfen zu verstehen, warum man sich "anders" fühlt.
  • Foto: Pete Linforth/Pixabay
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Es gibt IQ-Tests im Internet und in Fernsehshows - aber bilden die die Realität ab? Andrea Steinforth*, Psychologin und Coach für Hochbegabung aus Essen, erstellt seit über acht Jahren Intelligenzprofile. Worauf es dabei ankommt und wer sich testen lassen sollte, erklärt sie im Interview. 

Warum sollte man überhaupt einen IQ-Test machen? Wem raten Sie dazu? 
Ich empfehle niemanden, sich testen zu lassen. Die Menschen kommen auf mich zu und wollen wissen, wie hoch ihre Wahrnehmungs- und Denkfähigkeit ist. Oftmals haben sie das Gefühl, zu einer Minderheit zu gehören und suchen nach Antworten auf die Frage: Wieso bin ich anders? Etwa die Hälfte meiner Klienten sind Erwachsene, die andere Hälfte Kinder. 

Was passiert, wenn das Ergebnis nicht so ausfällt wie erhofft?
Wenn ein Ergebnis nicht wie erhofft ausfällt, dann stellt sich die Frage, woran es liegt. Die meisten, besonders Erwachsene, die zu mir kommen, sind eher unsicher und zweifeln an ihren Fähigkeiten. Sie haben, wie viele in der Gesellschaft, das Gefühl, Hochbegabte sind nur diejenigen, die mit drei Jahren Partituren schreiben oder mit acht Jahren fünf Sprachen sprechen. So können starke Unsicherheit, ungünstige Testbedingungen und hohe Erwartungen ein Ergebnis beeinflussen. Mir ist ein sorgfältiges Vorgespräch sehr wichtig, in welchem ich auch die leidvolle Seite der Hochbegabung erläutere. Mit einer guten Vorbereitung, einem wertschätzenden Setting und dem deutlichen Wunsch, es endlich wissen zu wollen, klappt es dann meist gut. Im anschließenden Gespräch lässt sich vieles noch klären und erläutern. In jedem Fall sind eine Reihe von Erkenntnissen damit verbunden.

Welche Arten von IQ-Tests gibt es und wie unterscheiden sie sich?
Der erste IQ-Test stammt aus dem Jahr 1890 und diente dazu, geeignete Bewerber als Straßenbahnschaffner zu identifzieren. Heute gibt es unzählige Testverfahren, die sich im Grad der Validität und bei den Altersnormen unterscheiden. So gibt es Tests für Kinder ab zwei Jahren und sieben Monaten und für Erwachsene bis ins hohe Alter. Auch unterscheiden sie sich in den Aufgaben, in der Durchführungszeit, ob es Einzel- oder Gruppentests sind und ob sie sprach- und kulturfrei sind. Alle haben gemeinsam, dass sie einen Gesamt-IQ ermitteln. Das geschieht, indem die Testergebnisse zunächst in Vergleich mit der entsprechenden Altersgruppe gestellt werden. Dann erfolgt der Übertrag auf die Gaußsche Normalverteilungskurve.
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Kann ein IQ-Test falsche Ergebnisse liefern?
Ja, ein IQ-Test kann einen niedrigeren IQ ergeben als er in Wirklichkeit ist. Das hat mit der Situation und dem Setting der zu testenden Person zu tun: Hat sie Prüfungsangst? Stört sie etwas an der Prüfungssituation, beispielsweise der Stuhl, auf dem sie sitzt? Ist sie sehr aufgeregt? Das muss ich erkennen und darauf eingehen. Ansonsten kann das Ergebnis "nach unten" verfälscht sein. Gerade Hochbegabte reagieren oft störanfällig, das muss der Tester wissen. Deshalb empfehle ich beim Verdacht der Hochbegabung, sich einen darauf spezialisierten Experten zu suchen. Mit Vorsicht zu betrachten sind aus meiner Sicht auch IQ-Tests auf der klinischen Ebene. Etwa 65 Prozent der Hochbegabten haben in ihrem Leben Fehl- oder Doppeldiagnosen durch klinische Diagnostik erhalten. Die SENG-Initiative macht sich dafür stark, Fachleute für dieses Thema zu sensibiliseren. Das Problem ist, dass die Intelligenz ein starkes Persönlichkeitsmerkmal ist und nur wenige wissen, welche Ausprägungen dieses im Erleben und Verhalten hat.

Der Wert kann aber nicht höher ausfallen, als er in Wirklichkeit ist?
Nein, was der Getestete zeigt, kann nicht besser sein als seine Fähigkeiten. Es sei denn, er macht den selben Test zum wiederholten Mal oder hat gezielt geübt. 

Wer bezahlt einen IQ-Test?
Es gibt die eben genannten Tests in der klinischen Schiene. Da besteht ein Verdacht, zum Beispiel, weil ein Kind in der Schule Auffälligkeiten zeigt. Daraufhin wird eine Testung beispielsweise in einem Sozial-Psychiatrischen Zentrum oder einer Kinder- und Jugendpsychiatrie empfohlen und von der Krankenkasse bezahlt. Der Nachteil ist, wie schon gesagt, dass im klinischen Bereich das Ziel eine Diagnose ist. Zudem sind viele Ärzte und Kinderpschyologen nicht auf Hochbegabung spezialisiert. 
Möchte man einen IQ-Test außerhalb der klinischen Diagnostik machen, handelt es sich um eine Selbstzahlerleistung. Zwischen 350 und 450 Euro fallen für Vorgespräch, Testung, Nachgespräch, Gutachten inklusive Empfehlungen an.  

Wie finde ich seriöse Anbieter?
Zu mir kommen fast alle Klienten durch persönliche Empfehlungen. Menschen, die neu in dem Thema sind, empfehle ich, sich bei Eltern-Gesprächskreisen der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind (DGhK) Tipps anderer Eltern einzuholen. Im nächsten Schritt sollten sich die Eltern "hinspüren", indem sie die Webseiten der empfohlenen Anbieter lesen und sich die Frage zu stellen, wie kommt der Tester oder die Testerin zu dem Thema und wie authentisch wirkt er oder sie? 

Sie führen keine reinen IQ-Testungen durch, sondern erstellen ein Intelligenzprofil. Worin besteht der Unterschied?
Ich führe einen IQ-Test durch und erstelle ein Profil in Bezug auf die Intensität im Erleben und Verhalten. Dies umfasst die intellektuelle, psychomotorische, emotionale, sensorische und imaginäre Intensität. Ohne dies jetzt im Detail zu erklären, macht dies deutlich, dass es weit mehr ist als ein reiner IQ-Test. 

Was mache ich dann mit dem Ergebnis bzw. Gutachten? 
Wenn bei der Testung eine Hochbegabung festgestellt wird, muss geschaut werden, wo der Mensch gerade steht. Er braucht unbedingt In-Group-Erfahrungen mit anderen Hochbegabten, die verstehen, wie er tickt, und ihn so akzeptieren, wie er ist. Eine Anpassung des Umfeldes ist nötig, beispielsweise eine besondere Förderung im Schulumfeld oder eine Acceleration (Anmerkung der Redaktion: Das Überspringen einer Klasse) können sinnvoll sein. Bei spät erkannten Hochbegabten folgt durch das Testergebnis oft die Erkenntnis, weshalb sie sich ihr Leben lang anders fühlen. Das Ergebnis hat einen gravierenden Einfluss auf das Selbstbild. Ich vergleiche Hochbegabte immer mit Pinguinen, die in einer Herde von Erdmännchen in der Wüste versuchen nicht aufzufallen. Zu erkennen, dass man ein Pinguin ist, ist sehr viel wert.
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*ZUR PERSON:
Andrea Steinforth kam durch ihren hochbegabten Adoptivsohn zum Thema Hochbegabung. Sie ist Psychologin und ECHA-Coach (European Council of High Abilities). Die heute 57-Jährige wurde selbst mit Mitte 40 als höchstbegabt (IQ 145 und höher) getestet. Sie praktiziert in Essen und bringt sich ehrenamtlich im Verein "Das Dorf" ein.

Mehr zum Thema Hochbegabung

-> Experten-Interview mit Sonja Steinbeck: Hochbegabt, aber nur selten ein Wunderkind

Autor:

Miriam Dabitsch aus Velbert

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