Was die WAZ zur Sozialen Teilhabe nicht schreibt

Das Thema der „sozialen Teilhabe“ findet nun ihre Umsetzung in Gelsenkirchen. Der Slogan „Sozial ist, was Arbeit schafft“ wurde schon durch die Initiative „Neuer Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) in Verbindung mit vielen Marionetten dieses „Think Tanks“ in die Öffentlichkeit gebracht. Positiv besetzte Begriffe werden umgedeutet, um einen Bewusstseinswandel in der Gesellschaft zu bewirken. Das ist nicht neu und scheint üblich, will man seine Interessen durchsetzen. Das Wort „Kontrolle“ wird nun umgedeutet in „Sicherheit“, durch „yes we can“ meinte der Ex-US-Präsident B. Obama seine BürgerInnen zu überzeugen, mitgestalten zu können, „Verantwortung“ bedeutet „Aufrüstung“ und „Kriegswille“. Und das Soziale bedeutet eigentlich die Entrechtung des Arbeitnehmers.

Nein, sozial ist nicht, was Arbeit schafft. Sozial ist das, was der Gesellschaft und den einzelnen Menschen guttut.

Die WAZ hat folgenden Bericht veröffentlicht, der einen Geschmack hinterlässt, den ich erst mal mit diesen Zeilen wegspülen möchte.

Zitat WAZ:

„Über 4000 Briefe hat das Integrationscenter für Arbeit Gelsenkirchen (IAG) verschickt, über 800 persönliche Gespräche mit möglichen Bewerbern geführt. Ergebnis: Rund 400 Langzeitarbeitslose haben, finanziert über das Bundesprogramm „Soziale Teilhabe“, eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen.“

Zehn Prozent der Angeschriebenen haben sich demnach in das Programm einbinden lassen. Das klingt nicht danach, dass sich Langzeitarbeitslose von diesem Thema beeindrucken lassen. Woran mag es liegen? Ist es die schmähliche Bezahlung, bei der noch nicht mal sicher ist, ob der Mindestlohn gezahlt wird? So heißt es im Konzept:

„(…) oder aufgrund der Ausnahmeregelung für Langzeitarbeitslose des Mindestlohngesetzes – kann der Arbeitgeber das niedrigere Entgelt zahlen.“

Gemäß einer Anfrage der sachkundigen Bürgerin Frau Kosak-Izberovic – Sachstand Arbeitslosenzahlen vom 21.6.2017 im Ausschuss für Arbeit und Soziales in Gelsenkirchen heißt es (Arbeitslosenzahl 2016):

„Im Dezember 2016 gab es 50.960 SGB II-Leistungsberechtigte in Gelsenkirchen.“

Somit ist das Ergebnis der 400 Menschen, welche sich nun durch das Programm aktiviert fühlen, auf 0,79 % gerutscht. Als ein positives Ergebnis kann man das nicht werten.

Zitat WAZ:

„Befristet bis längstens Ende 2018, aber der Grundstein für ein anderes Leben ist nach langer Perspektivlosigkeit gelegt. „Lebenswertes Gelsenkirchen“ wurde das Programm denn auch getauft.“

Beachtet man, dass bei „Soziale Teilhabe“ nicht in die Arbeitslosenversicherung gezahlt wird, sollte klarwerden, dass überhaupt kein Interesse daran besteht, dass Langzeitarbeitslose wieder selbständig und ohne Abhängigkeit des Jobcenters ihr Leben bestreiten werden. Und das soll sich als lebenswert darstellen?

Zitat WAZ:

„Es gibt viel positive Resonanz, weil es hier wieder besser aussieht,“ berichtet Rümping beim Ortstermin. „Und die neuen Mitarbeiter identifizieren sich unheimlich mit ihrer Arbeit. Denen macht das Spaß.“

Bei Gesprächen mit Gelsenkirchenern ist häufig festzustellen, dass es ihnen egal zu sein scheint, wie die Arbeitswelt hinter der Fassade aussieht. Bei Umfragen mit Anwohnern aus dem Tossehof zum Gafög-Tossehofladen bekam ich stets die Antwort, dass sie froh sind, einen Laden in ihrer Nähe zu haben. Meine Anfrage bei der Gafög bzgl. der Vergütung und Arbeitsstandards bleib bis heute ohne Antwort. 

Dass aber Menschen, die im Billiglohnsektor arbeiten, nicht genug für ihre Rente erwirtschaften können und eine Wettbewerbsverzerrung für Unternehmen schafft, scheint niemanden zu interessieren. Auch das wird langfristig etwas mit unseren noch bestehenden „anständigen“ Jobs machen. Und dann wird gejammert. Wir sollten uns die Frage stellen, was wir mit unserem Dulden unmenschlicher und nicht existenzsichernde Arbeit langfristig bewirken.

Dass sich die Mitarbeiter UNHEIMLICH mit ihrer Arbeit identifizieren ist ja schön. Mir wurde auch schon berichtet, dass einem Gafög-Verantwortlichen Langzeitarbeitslose vor Freude um den Hals fallen, weil sie dort arbeiten dürfen. Diese Superlativen Aussagen machen mich jedoch skeptisch. Ist es nicht langsam an der Zeit, dass Betroffene öffentlich machen, was sie hinter vorgehaltener Hand erzählen?

Die WAZ schreibt:

„Last but not least stellt Ulrich Husemann, Betriebsleiter Gelsendienste, fest: „Durch den Einsatz der Leute kriegt kein privater Anbieter einen Auftrag weniger.“ (…)

Und ich sage, auf dem Mond ist ein Goldschatz vergraben. Natürlich behauptet Herr Husemann so was. Wer hinterfragt seine Aussage denn?

Die WAZ schreibt:

„Die Arbeiter im Nienhauser Busch werkeln fleißig, schneiden wilde Brombeeren und störendes Geäst zurück, befreien die Wege vom Wildwuchs, legen Kantensteine frei.“

Es stellt sich die Frage, wer diese Arbeiten früher gemacht hat? Waren es nicht Gelsendiensbeschäftigte? Und wenn diese Arbeiten outgesourct wurden, wurde dann nicht der private Anbieter benachteiligt?

Diese Arbeiten müssen gemacht werden. Die Natur ist dynamisch und die Arbeit langfristig angesetzt. Da gibt es nur eine Lösung, die wirklich glaubhaft erscheint: Man stelle diese Menschen mit einem festen Arbeitsvertrag mit anständigem Tariflohn bei den Gelsendiensten ein. Wieso dies nicht gemacht wird, überlasse ich der Phantasie des Lesers.

Und welche Aufgabe übernehmen die Gewerkschaften? Die Tarifautonomie wird durch Programme wie der „Sozialen Teilhabe“ ausgehebelt. Löhne sind nicht mehr verhandelbar. Arbeitsstandards und das Arbeitsrecht scheinen untergraben. Wofür haben die Gewerkschaften über viele Jahrzehnte für die Rechte gekämpft? Und dann haben sie Angst vor der Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens, weil sie glauben, an Bedeutung zu verlieren. Nein, die Bedeutung verlieren die Gewerkschaften gerade jetzt, wenn sie stillhalten beim Abbau des Arbeitsrechtes. Der DGB hat dazu auch nichts zu sagen und sitzt im Übrigen im Beirat der Gafög.

Die WAZ schreibt:

„Auch Dieter (60). Der frühere Bergmann war vier Jahre arbeitslos: „Zuhause ist Langeweile. Vor allem in meinem Alter.“ (…)

Wenn ein Mensch Langeweile hat, hat er nie gelernt, seine Talente zu finden. Genau dieses Thema ist sehr interessant, wenn man sich mit dem Bedingungslosen Grundeinkommen beschäftigt. Durch die Konformität der Gesellschaft, geschaffen aus einem starren Bildungssystem und einer Arbeitsethik, die dem 16. Jahrhundert entspringt, fehlt vielen Menschen die Selbstbestimmung. Es kann nicht sein, dass Menschen nur aktiv und interessiert sind, wenn sie von jemandem gesagt bekommen, was sie zu tun haben. Dieter (60) wäre zu raten, Freunde zu fragen, wie sie ihn sehen und woran er denn Interesse haben könnte. Die Welt ist bunt und voller Möglichkeiten und nicht alles muss was kosten. Sich mit so einer Aussage für die „Soziale Teilhabe“ auszusprechen ist ein Armutszeugnis für unseren derzeitigen Umgang mit dem Thema Arbeit und Mensch.

Autor:

Sandra Stoffers aus Recklinghausen

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