Bewährungsstrafe für Vergewaltigung

Das Hattinger Amtsgericht. Foto: Pielorz

Nach fünf Verhandlungstagen und mindestens viermal so vielen Stunden gab es vor dem Hattinger Schöffengericht nun ein Urteil gegen den 55jährigen Angeklagten, der seine 49jährige Ehefrau mehrfach vergewaltigt, geschlagen und gewürgt haben soll: Das Schöffengericht unter dem Vorsitzenden Richter Johannes Kimmeskamp verurteilte den Mann zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren und einer Zahlung von 1000 Euro. Die Verteidigung kündigte bereits an, gegen das Urteil Rechtsmittel einzulegen. Das bedeutet: Vor dem Landgericht in Essen wird in der nächsthöheren Instanz alles noch einmal von vorne beginnen

Angeklagt waren in Hattingen drei Vorgänge aus den Jahren März und Mai 2014 sowie Mai 2015. In allen drei Fällen soll der Angeklagte seine Frau zu sexuellen Handlungen gezwungen und sie außerdem gewürgt und geschlagen haben. Der türkische Angeklagte, der im gesamten Prozess von einer Dolmetscherin unterstützt wurde, blieb bis zum Schluss bei seiner Darstellung, er habe der Ehefrau diese Taten nicht angetan und sie habe sich mit den beiden Kindern gegen ihn verschworen, um ihn loszuwerden. Die Ehefrau hingegen hatte nach ihrer Aussage ein jahrelang den Kindern zuliebe ertragenes Martyrium hinter sich. Das Paar lebt heute getrennt, die Scheidung läuft.
Fakt ist, dass die Ehe des Angeklagten mit seiner Noch-Ehefrau alles andere als glücklich war. Mit 15 Jahren wurde die Ehefrau, die mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft hat, verheiratet. Der Angeklagte als Bräutigam war nur wenige Jahre älter. Ohne eine Ausbildung war die Ehefrau von ihrem Mann finanziell abhängig. Sie brachte zwei Kinder zur Welt und kümmerte sich um die Familie, pflegte dabei auch Familienmitglieder. Deutlich wurde im Prozess die ungeheure körperliche und seelische Belastung der Frau. Sicher sind auch verschiedene Krankenhausaufenthalte und psychische Probleme der Frau bis hin zu ungeklärten Ohnmachtsanfällen.

Entbunden von der Schweigepflicht

Viele Zeugen, entbunden von der ärztlichen Schweigepflicht, wurden gehört. Auch ein Rechtsmediziner wurde hinzugezogen. Die hohen Belastungen der Frau waren allen aufgefallen. Doch gab es auch Stimmen, nachdem sie dem mutmaßlichen Opfer Persönlichkeitsstörung und theatralische Übersteigerung ihres Verhaltens attestierten. Einmal wurde eine Therapie seitens einer Klinik sogar abgebrochen. Eine andere Klinik, die die Frau wegen angeblicher Suizid-Versuche durch Strangulieren behandelt haben soll, wurde nicht von der Schweigepflicht entbunden.
Beide Kinder sagten aus, die unglückliche Ehe der Eltern durchaus wahrgenommen zu haben. Sie wollen die Mutter immer mal wieder traurig und verstört erlebt haben. Der Sohn gibt an, seinen Vater gefragt zu haben, warum er die Mutter so respektlos behandele und dieser habe ihm geantwortet, sie sei seine Frau und er könne mit ihr machen, was er wolle. Die Tochter hatte in ihrer Aussage von frischen Schürfwunden und Prellungen am Hals gesprochen, die sie Pfingsten 2015 gesehen haben will und sei daraufhin mit ihrer Mutter ins Krankenhaus gefahren. Doch im Entlassungsbericht nach der mehrtägigen stationären Aufnahme findet sich kein Hinweis auf Prellmarken, die auf eine Gewalteinwirkung im Halsbereich hindeuten. Der Rechtsmediziner erklärt eindeutig, wenn diese vorhanden gewesen wären, so hätten sie vom ärztlichen Personal gesehen werden müssen – wenn man den mit einem Halstuch verdeckten Hals untersucht hätte. Doch an die Untersuchung vor mehr als einem Jahr können sich die ärztlichen Zeugen nicht mehr erinnern. Allerdings wissen sie noch, dass bei dieser Patientin von häuslicher Gewalt gesprochen wurde und die Frau gefragt wurde, ob man die Polizei einschalten solle, was diese verneinte.

"Ich habe das nicht getan"

Während der Angeklagte in den ganzen Verhandlungsstunden nach seiner Aussage, die Taten nicht begangen zu haben, schweigt bis auf das letzte Wort, in dem er noch einmal erklärt, er habe seiner Frau dies nicht angetan, ist für alle Prozessbeteiligten und Beobachter sichtbar, wie sehr das mutmaßliche Opfer unter der Situation leidet. Auch bei den Schlussplädoyers von Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung kommt es immer wieder zu Tränen.
Letztendlich muss das Gericht die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers bewerten. War es so, wie sie es geschildert hat? Das Schöffengericht kommt zu dem Ergebnis, die Frau habe die Wahrheit gesagt und die angeklagten Taten hätten sich so zugetragen. Der Angeklagte wird wegen Vergewaltigung und Körperverletzung in einem minderschweren Fall verurteilt. Der Verschwörungstheorie zwischen Frau und Kindern erteilt das Gericht eine Absage. Dies sei nicht glaubwürdig. Die Kinder hätten kein enges Verhältnis zum Vater gehabt und stünden auf soliden finanziellen Füßen. Es gäbe keinen Grund, warum sie hier nicht wahrheitsgemäß ausgesagt hätten.
Der Angeklagte, der sich übrigens von seiner Frau nach einer Türkei-Reise getrennt hatte (nicht umgekehrt) schüttelte bei der Urteilsbegründung immer wieder den Kopf. Der Richter führte aus, die nicht gesehenen Prellmarken am Hals bei den medizinischen Untersuchungen Pfingsten 2015 müssten nicht bedeuten, dass diese Verletzungen nicht da gewesen seien. Vielmehr könne es so sein, wie der Rechtsmediziner ausgeführt habe, dass man sich bei den Untersuchungen auf andere Körperstellen konzentriert habe. Zumindest könne man diese Möglichkeit nicht ausschließen.
Das von der Verteidigung beantragte Glaubwürdigkeitsgutachten gegen die Noch-Ehefrau lehnte das Gericht ab. Als sicher gilt, dass die Verteidigung jetzt Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen wird. Dann wird vor dem Landgericht Essen als nächsthöhere Instanz der komplette Prozess mit allen Zeugen von vorne beginnen.

Autor:

Dr. Anja Pielorz aus Hattingen

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