Ein technisches Wunder

Die Last mehrerer Tonnen: Stadtanzeiger-Mitarbeiter Sascha Ruczinski (links) und Martin Oldengott im Emscher-Düker. Über der Decke fließt der Rhein-Herne-Kanal. Foto: Thiele
  • Die Last mehrerer Tonnen: Stadtanzeiger-Mitarbeiter Sascha Ruczinski (links) und Martin Oldengott im Emscher-Düker. Über der Decke fließt der Rhein-Herne-Kanal. Foto: Thiele
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Was tun, wenn eine künstliche Wasserstraße und ein Fluss sich kreuzen? Dann muss ein Durchgang her, bei dem der Fluss unter dem Kanal herfließt.

Als vor 100 Jahren der Rhein-Herne-Kanal fertig gebaut wurde, war vorab der Bau eines Durchlasses in Henrichenburg notwendig, da der damals neue Kanal, der den auch erst 1899 fertiggestellten Dortmund-Ems-Kanal mit dem Rhein verbindet und quer durch das Ruhrgebiet fließt, an dieser Stelle die Emscher kreuzt. So entstand Ende des 19. Jahrhunderts der Emscher-Düker.

Der Begriff Emscher-Düker ist streng genommen falsch. Das aus dem Niederdeutschen stammende Wort Düker bezeichnet eigentlich eine Druckleitung, die unter eine Straße, einen Fluss oder ein anderes, vergleichbares Hindernis gelegt wird, um Flüssigkeiten zu transportieren, ohne dabei auf Pumpen zurückgreifen zu müssen.

Ein „echter“ Düker ist beispielsweise der den Rhein querende Düker in Düsseldorf, der den linksrheinischen Stadtteil Heerdt mit Fernwärme versorgt. Ein Durchlass ist eher mit einer Brücke vergleichbar; nur dass diese Brücke keiner Straße oder einem Gleisbett zum Überqueren dient, sondern Wasser.

Der Emscher-Durchlass oder -Düker hat eine bewegte Geschichte hinter sich. „Im Zuge der Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg“, erläutert Martin Oldengott, Bereichsleiter Stadtentwicklung und Wirtschaftsförderung der Stadt Castrop-Rauxel, „sind mutige Bergleute mit einem Floß über die Emscher unter den Kanal gefahren, haben den Düker gesprengt und der Kanal ist erstmal ausgelaufen. Dadurch war der Abtransport der Kohle nach Frankreich nicht mehr möglich.“

Dies geschah im Jahr 1923 auf dem Höhepunkt der Ruhrbesetzung durch belgische und französische Truppen, die die Reparationszahlungen gewährleisten sollten. Die Menschen im Ruhrgebiet reagierten mit passivem Widerstand, die Besetzung endete zwei Jahre später aufgrund internationalen Drucks.

Der Nachfolgebau wurde 1929 fertiggestellt. Rund 80 Jahre hielt dieser Durchlass. Bauliche Mängel, eine Verbreiterung des Kanals von 30 auf 55 Meter und die Pläne zur Renaturierung der Emscher führten dazu, den Durchlass zu verlegen. Vor zwei Jahren wurde der neue, letztendlich dritte Emscher-Düker 180 Meter nördlich des alten Standortes fertiggestellt. „Wenn man überlegt, was das für eine Baustelle war“, erinnert sich Oldengott. „Für mich war das ein technisches Wunder.“

Die Emscher verläuft rund um das imposante Betonbauwerk anders als zuvor: In Schlangenlinien läuft das Wasser flussabwärts und bahnt sich seinen Weg durch die von Deichen umsäumte Rinne. An die alte „Köttelbecke“, wie der Fluss im Volksmund oft genannt wird, erinnert zumindest hier nicht mehr viel, außer vielleicht der latente Geruch von faulen Eiern.

„Auf der einen Seite ist die Emscher noch so, wie wir sie kennen, und auf der anderen Seite so, wie wir sie uns wünschen. Es fehlt noch das saubere Wasser“, sagt Oldengott und wirft noch folgendes ein: „Renaturierung ist auf die Emscher bezogen das falsche Wort. Sie ist ein künstliches Konstrukt, genauso wie das Ruhrgebiet.“

Das Revier ist in Folge des Steinkohlebergbaus an vielen Stellen über mehrere Meter tief abgesackt, so tief, dass es sich stellenweise unter dem Grundwasserspiegel befindet. Steigendes Grundwasser rund um das Emschertal wird Tag für Tag abgepumpt. „35 Prozent des Ruhrgebiets sind sogenannte Polderflächen“, erklärt Oldengott. „Wenn wir hier die Pumpen abstellen, dann würden wir zum Beispiel in Bottrop unter Wasser stehen – bis hoch in die vierte Etage.“

Nicht nur Grundwasser wird abgepumpt. Hinzu kommt das Grubenwasser, das aus ein, zwei Kilometer Tiefe nach oben befördert und der Emscher zugeführt wird – ein Erbe des Bergbaus, dass auch nach der letzten, für 2018 angepeilten Zechenschließung kein Ende finden wird.

Doch das Umdenken vom steten Höher, Schneller, Weiter hin zu einer Rückbesinnung zum Natürlichen zeigt sich beim Emscher-Düker. „Wir haben hier einen Durchlass mit geringem Gefälle, aus ökologischen Gründen“, erläutert Oldengott. „So können im Gegensatz zum alten Emscher-Düker die Fische und Krebse den Fluss auf- und abwärts passieren.“ Dort, wo der Fluss dem faulen Gestank ein wenig trotzt und sich rechts und links Richtung Rhein schlängelt.

Autor:

Sascha Ruczinski aus Schwelm

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