Straßenverkehr muss als Ganzes betrachtet werden
Es geht nur miteinander!

Da jede Beschwerde von Fahrradfahrern bezüglich einer unzureichenden Radinfrastruktur und jeder Wunsch nach mehr Sicherheit für Fahrradfahrende mit einem Hinweis auf Fahrradfahrer, die sich nicht an Regeln halten, gekontert wird, hier ein für allemal:
Nein, Fahrradfahrer sind keine Engel. ( Autofahrer übrigens auch nicht. Und auch Fußgänger nicht. ) Aber dass sich einige nicht an Verkehrsregeln halten, rechtfertigt noch lange nicht, sich gegenüber allen rücksichtslos zu verhalten.
Außerdem – so habe ich das zumindest mal gelernt – sollten die Starken auf die Schwachen Rücksicht nehmen.
Wir sind doch alle mal mit dem Auto, mal mit dem Fahrrad, mal zu Fuß unterwegs. Da sollte es doch möglich sein, sich in den anderen hineinzuversetzen.
Dann möchte ich mal zu den einzelnen Vorwürfen gegen Radfahrer möglichst objektiv Stellung nehmen:
1.) Fahrradfahrer fahren ohne Beleuchtung und mit dunkler Kleidung:
Es ist nicht die Regel, aber dass es vorkommt, lässt sich nicht abstreiten. Finde ich auch relativ gefährlich – wo es doch für Fahrradfahrer eh schon gefährlich in deutschen Städten ist. Aber auch hier gilt, wie bei so vielem: Nicht verallgemeinern! Wenn es MANCHE machen, heisst das noch lange nicht, dass es ALLE machen.
2.) Fahrradfahrer fahren mit Stöpsel im Ohr. Siehe oben – wenn es einige machen, machen es noch lange nicht alle. Mein Partner musste tatsächlich schon mal jemand von der Straßenbahn wegziehen, die sie nicht gehört hatte.
Allerdings gibt es auch Verkehrsmittel, die man selbst dann nicht hört, wenn man Ohren wie eine Katze hat. Nennen sich Elektroautos.
3.) Viele fahren ohne Helm.
Es gibt in Deutschland keine Helmpflicht! Und ich bin auch dagegen eine solche einzuführen, und zwar nicht aus Angst um meine Frisur, sondern weil ich befürchte, dass die Helmpflicht dann als Ausrede dient, nichts mehr für die Sicherheit von Fahrradfahrenden tun zu müssen. Ein Helm hilft allerdings nur bedingt – kommt immer darauf an, mit welchem Körperteil Du auf die Straße knallst oder vom Auto / LKW überrollt wirst. Und je nachdem, WIE Du dank Helm überlebst, kann es auch sein, dass Du Dir unter Umständen wünschst, Du hättest keinen Helm aufgehabt und wärst nun tot.
4.) Fahrradfahrer fahren auf einer engen Straße, obwohl es an der Parallelstraße einen Radweg gibt
Je nachdem, wie der Radweg beschaffen ist ( manche sind sehr schmal und führen eng an parkenden Autos vorbei ohne Ausweichmöglichkeit bei Dooring-Gefahr, nebenan brausen Autos und LKWs vorbei...kann es sein, dass man sich auf einer schmalen Nebenstraße trotz fehlendem Radweg sicherer fühlt. Zudem passieren die meisten schweren Unfälle an großen Kreuzungen. Auf den Nebenstraßen ist in der Regel weniger Autoverkehr, und die Autos, die dort fahren, fahren langsamer. Die Gefahr, dass etwas passiert, ist dort also geringer und wenn doch, sind die Auswirkungen, wenn jemand mit 30 kmh mit Dir zusammenstößt, natürlich weniger gravierend als wenn es mit 50 kmh passiert.
5.) Fahrradfahrer überqueren die Straße auf dem Zebrastreifen, um dann auf der Straße weiterzufahren.
Auch das hat wieder mit der Angst vor schweren Unfällen an großen Kreuzungen zu tun. Auf dem Zebrastreifen fühlt man sich sicher. Allerdings müsste man, wenn man es genau nimmt, rüber schieben und drüben wieder aufsteigen. Auf der Straße aufsteigen wollen allerdings die wenigsten, denn die wenigsten Autofahrer werden Geduld haben, bis der Radfahrer endlich losgeradelt ist. Die Alternative wäre auf dem Bürgersteig aufzusteigen und sobald es möglich ist, wieder auf die Straße zu wechseln. Das gilt für den Fall, dass kein Radweg vorhanden ist.
Und dass sie danach auf der Straße weiterfahren: Ja, was sollen sie denn sonst tun, wenn es keinen Radweg gibt? Auf den Bürgersteig dürfen sie ja nicht.
6.) Viele fahren auf dem Bürgersteig.
Auch das hat mit der Angst vor dem motorisierten Verkehr zu tun. Und mit Radwegen, die auch nicht als wirklich sicher zu bezeichnen sind ( siehe Punkt 5 ) und häufig auch entweder zugeparkt oder durch eine Baustelle versperrt sind.
Die Tatsache, dass Radfahrer sich auf den Bürgersteig retten, finde ich daher gar nicht so schlimm – schlimm finde ich eher, wie manche dort entlangrasen. Meiner Meinung nach muss man sich als Radfahrer vor Augen führen, dass man auf dem Bürgersteig bestenfalls gedulden ist und langsam und angepasst fahren, damit kein Fußgänger gefährdet wird.
7.) Sie halten bei Rot nicht an, sondern fahren auf dem Bürgersteig an der Ampel vorbei
Wie bereits erwähnt, passieren die meisten Unfälle an großen Straßenkreuzungen. Auf dem Bürgersteig, wo sie unter üblichen Umständen kein Auto „erwischen“ kann, fühlen sich viele Radfahrer sicherer.
8.) Rennräder sind nicht für die Straße geeignet, da sie keine Sicherheitsausstattung haben
Stimmt, aber wo sollen sie denn trainieren? Auf den Radwegen sind deutlich langsamere Alltags- und Freizeitradler unterwegs, und überholen geht nicht, da die Radwege so schmal sind, dass sie dafür keinen Platz lassen.
Eine Lösung wären breite kreuzungsfreie Radschnellwege.
All das soll das Verhalten mancher Radfahrenden nicht entschuldigen, aber erklären. Denn wenn etwas schiefläuft, finde ich es wichtig, erstmal die Gründe herauszufinden, warum das so ist. Und wenn man die Gründe kennt, kann man auch etwas dagegen unternehmen.
Die Lösung für viele der genanten Probleme wären breite möglichst kreuzungsarme Rad(schnell)wege, die abseits vom Autoverkehr geführt werden. Und wo das nicht geht, verkehrsberuhigte Zonen.
Davon profitieren nicht nur Fahrradfahrer, sondern im Prinzip alle:
Autofahrer, weil ihnen Radfahrer nicht mehr in engen Nebenstrassen den Weg „versperren“.
Außerdem ist jeder, der sich durch solche Maßnahmen aufs Fahrrad traut, in dem Moment ein Autofahrer weniger, und je weniger Autofahrer unterwegs sind, desto seltener kommt es zu Staus.
Fußgänger, weil es keine Aus-Angst-auf-dem-Bürgersteig-fahrenden-Radfahrer mehr geben wird.
Zum Schluß noch ein paar goldene Regeln, die das Leben leichter machen:
1.) Denkt bei Neuerungen nicht daran, dass Euch etwas genommen wird, sondern überlegt, inwiefern auch Ihr davon profitiert.
2.) Statt sich über den Radfahrer zu ärgern, hinter dem Ihr in einer engen Straße langsam hinterher fahren müßt, stellt Euch vor, Ihr wärt an seiner Stelle.
3.) Ein Motorradfahrer ist nicht nur ein Motorradfahrer, ein Fahrradfahrer nicht nur ein Fahrradfahrer, ein Fußgänger nicht nur ein Fußgänger...sondern immer auch ein Sohn oder eine Tochter, ein Vater oder eine Mutter, ein Freund oder eine Freundin...

Autor:

Astrid Günther aus Duisburg

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