Leben mit Hartz IV
Kürzungen von 100 Prozent sollen trotz Gerichtsurteil verhängt werden

Einem mir persönlich gut bekannten, zu 70 Prozent schwerbehinderten Katernberger Bürger drohte das Jobcenter Anfang Februar, ihm komplett das Arbeitslosengeld II zu streichen, wenn er nicht binnen einer ganz kurzen Frist die Nebenkostenabrechnung seines Vermieters für 2018 vorlegt. Seine Gegenwehr hatte erst einmal Erfolg. Kurz zuvor hatte ihm das Jobcenter mit einer Kürzung seiner Bezüge gedroht, wegen angeblich zu viel erhaltener Erstattung für Gas. Auch hier musste ein Anwalt eingeschaltet werden, um das Jobcenter zur Korrektur seines Fehlers zu zwingen. Das alles hat System und ist gewollt, um die Arbeitslosen im Hartz-IV-Bezug in ständiger Existenzangst zu halten.

Viele Menschen hatten gehofft, dass das Bundesverfassungsgericht der existenzbedrohenden, menschenunwürdigen Sanktionspraxis von Arbeitsagenturen und Jobcentern ein Ende bereitet.
Doch das am 5. November 2019 ergangene Urteil des BVG machte lediglich einige Einschränkungen, indem es Sanktionen in der Regel auf 30 Prozent begrenzte. Nordrhein-Westfalens CDU-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann reicht selbst dieser faule Kompromiss nicht. Er will Hartz-IV-Empfängern die Unterstützung auch weiter komplett streichen. Dazu soll mit allen Tricks gearbeitet werden. So sollen Kürzungen bis zu 100 Prozent einem Weisungsentwurf zufolge dadurch erreicht werden, dass mehrere verhängte Sanktionen einfach „kumuliert“, also zusammengezählt werden.

Außerdem will Laumann den unabhängigen Arbeitslosenberatungsstellen in NRW die Landeszuschüsse streichen, um Kritiker seiner unsozialen Politik mundtot zu machen.

Auf das BVG-Urteil folgte sofort der Aufschrei aus CDU, FDP und AfD: dadurch würde das Prinzip „Fordern und Fördern“ ausgehebelt. Doch darum ging es nie bei Hartz IV. Hauptziel der Hartz-„Reformen“ war, die Mehrheit der Arbeitslosen in ein Leben im und unter dem Existenzminimum und dadurch zur Annahme jedes Jobs zu zwingen. Auf diese Weise wurde ein riesiger Niedriglohnsektor geschaffen. Die 2005 von einer Regierung aus SPD und GRÜNEN eingeführten Hartz-Gesetze haben die Armut in Deutschland zu einer Massenerscheinung gemacht und die Überausbeutung der Menschen gerade im Niedriglohnsektor ungeheuer verschärft. Die Hartz-Gesetze sind ein Schrittmacher der wachsenden Altersarmut. Auch mit dem Karlsruher Urteil bleibt viel Spielraum für Willkür und Schikane durch Sanktionen.

Die Hartz-Gesetze und besonders Hartz IV sind ein ausgeklügeltes System, mit dem auch das wahre Ausmaß der Arbeitslosigkeit verschleiert wird. Mit der Einführung von Hartz IV wurde die Arbeitslosenversicherung zum Teil zerschlagen, um die Unternehmer zu entlasten. Der Großteil der Hartz-IV-Bezieher wird als „Faulenzer“ stigmatisiert, gegen die auch existenzvernichtende Sanktionen zulässig seien. Statt die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, wird ein Großteil der Arbeitslosen bekämpft. Der Kampf gegen die Hartz-Gesetze wird deshalb weitergehen. Die bundesweite Montagsdemo-Bewegung fordert statt Hartz IV eine unbegrenzte Zahlung von Arbeitslosengeld I für alle Arbeitslosen während der ganzen Dauer von Arbeitslosigkeit.
Kommen Sie auch zur Essener Montagsdemo, wo seit nunmehr 16 Jahren auch gegen die Hartz-Gesetze gekämpft wird. Jeden ersten Montag im Monat um 18 Uhr auf der Porschekanzel.

Autor:

Bodo Urbat (Essen steht AUF) aus Essen-Nord

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