Polizei verabschiedet sich von ihrer Geschichte
Versagen des Bau- und Liegenschaftsbetriebs NRW und der Landesregierung?

Das Polizeipräsidium an der Büscherstraße - fertig gestellt 1918 | Foto: Uwe Klein
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  • Das Polizeipräsidium an der Büscherstraße - fertig gestellt 1918
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Fragt man einen Immobilenexperten worauf es bei der Wohnungssuche ankommt, wird er wahr-scheinlich antworten: Erstens Lage, zweitens Lage, drittens Lage. In einer hervorragende Lage be-findet sich das Essener Polizeipräsidium. Im so genannten Justizviertel in Rüttenscheid zur Stadt-teilgrenze Holsterhausen. Einst von 1914 bis 1918 für 250 Mitarbeiter erbaut, arbeiten jetzt dort rund 400. Allerdings war zu Kaisers Zeiten der Platzbedarf anders bemessen als heute. Nachdem die Kriegsschäden beseitigt wurden, erfolgte nach und nach die Sanierung des Gebäudes. Es hat in den 1990er-Jahren und danach ein neues Polizeigewahrsam, einen neuen Westviertel und moder-nen Zwischenbau bekommen sowie eine ein Grundsanierung um die Jahrtausendwende. Wir sprechen von einem Gebäude mit guter Grundsubstanz.

Raus aus dem „Mutterhaus“ will die Essener Polizeiführung mit ihren dort ansässigen Dienststellen, weil der Vermieter nicht in der Lage scheint, den baulichen und technischen Ansprüchen genüge leisten zu können. Somit wurde der Mietvertrag klammheimlich gekündigt, die Stadtgesellschaft selbst Polizeibedienstete überrascht und vor fast vollendete Tatsachen gestellt. Eine öffentliche Debatte fand nicht statt. Als diese begann , hieß es schon: „Es ist in trockenen Tüchern.“

Wer ist eigentlich der Vermieter? Nicht die Polizei. Bis 2001 war es das staatliche Staatshochbau-amt, also eine klassische Behörde. Dann kam die Landesregierung auf die Idee der Verwaltungs-modernisierung nach dem Motto „privat vor Staat“ und übertrug das gesamte Immobilienvermö-gen dem Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW). Voller Stolz lobte der damalige Finanz-minister Peer Steinbrück diesen politischen Schachzug: „Dies ermöglicht eine professionellere und wirtschaftlichere Verwaltung sowie eine kostengünstigere Bewirtschaftung der Immobilienbestände.“ So war das Land NRW im Immobilienhaifischbecken gestrandet.

In den Hochglanzprospekten des BLB NRW konnte man diesen Lobgesang auf die eigenen Fähigkei-ten bestaunen. Rund 4100 Gebäude mit einer Mietfläche von mehr als 10 Millionen Quadratme-tern befanden sich nun in privater Hand, allerdings unter Aufsicht des Finanzministeriums.

Professionellere und wirtschaftlichere Verwaltung? Das Gegenteil war der Fall, zumindest an zwei Poli-zeiliegenschaften in Essen. Die ehemalige Kaserne und Polizeischule an der Norbertstraße 165 mit zig Dienststellen, u.a. den Spezialeinheiten und der Diensthundestaffel, fühlten sich dort oben im Stadtteil Bredeney an der Autobahn 52 gut aufgehoben. Ein ideales großzügiges Gelände mit viel-fältigen Trainingsmöglichkeiten, Hubschrauberladeplatz und Anbindung. Wie das Polizeipräsidium an der Büscherstraße standen auch hier einige Gebäude unter Denkmalschutz. Und der BLB NRW ließ die Liegenschaft vergammeln. Legionellen in den Leitungen, warmes Wasser für die Klospü-lung, ungezügelter Grünwuchs. Das sah jeder Kollege, der dort oben im Stadtteil Bredeney arbeite-te. Trotz der Missstände fühlten sich viele dort wohl. Ein Umzug in eine neue Liegenschaft wurde notwendig. Die oben genannten Dienststellen weinen zum Teil heute noch der im Bauhausstil An-fang der 1930er-Jahren gebauten Unterkunft nach. Sie haben sich mit dem Auszug verschlechtert, so einige Stimmen.

Passiert jetzt Ähnliches mit dem Polizeipräsidium? Der Polizeimieter hat den Vertrag gekündigt, will raus und sucht eine neue Bleibe. Und er wollte genau dorthin, wo sich bereits etwa 1000 Polizisten befinden. In die alte Karstadt-Hauptverwaltung oder in den angrenzenden Büropark, ist dem Aus-schreibungsprofil zu entnehmen. Das bedeutet: lange Laufzeit, teure Miete – ein Millionen-Deal für den neuen Vermieter. Und vom BLB NRW hört man nichts. Oder spekuliert er wie es im Immo-biliengeschäft oft üblich ist. Der unzufriedene Mieter ist weg. Ein riesiges Gebäude samt Filet-grundstück in bester Lage als Verkaufsmasse zur Verfügung, zwar denkmalgeschützt aber im guten Zustand.

Die alte Polizeischule wurde mittlerweile für 25,5 Millionen Euro auf den Immobilienmarkt ange-boten und soll einen privaten Aufkäufer gefunden haben. Die Zeitung schrieb, dass dort Asylunter-künfte entstehen sollen. Dort oben auf dem Berg, von wo einst Polizisten in der Naziherrschaft nach Polen und in Nachbarländer zu Mord- und Gräueltaten ausrückten. (Quelle: https://www.yadvashem.org/de/education/newsletter/5/police-battalion-67.html)

Zurück zum BLB. Nach der „Verwaltungsmodernisierung“ geriet der Liegenschaftsbetrieb in die Schlagzeilen und in die Kritik. Der Landesrechnungshof und die Schwerpunktstaatsanwaltschaft Wuppertal ermittelten gegen BLB-Mitarbeiter. Der Ex-Chef wurde 2017 zu mehr als sieben Jahren Haft verurteilt. Der Vorwurf: Korruption und Bestechlichkeit.  (Quelle: https://rp-online.de/nrw/panorama/ferdinand-tiggema-hafturteil-gegen-ex-blb-chef-rechtskraeftig_aid-20623935).
Weitere Vorwürfe standen im Raum.

Zurück nach Essen. Polizeipräsident Frank Richter, der als Mieter schon den Auszug aus der alten Polizeischule vorantrieb, begründete den jetzigen Auszug aus dem Polizeipräsidium an der Bü-scherstraße u. a.: “Diese technischen Anpassungen lassen sich in dem alten Gebäude des Prä-sidiums nur durch sehr umfangreiche Baumaßnahmen verwirklichen, die nicht nur unver-hältnismäßig hohe Kosten bedeuten würden, sondern auch im laufenden Polizeibetrieb nicht realisierbar wären. Ein flexibles, zukunftsorientiertes Raumkonzept mit modernen Büro-, Besprechungs- und Führungsräumen, die für die Leitung von Großeinsätzen unabdingbar erforderlich sind, lässt sich wegen statischer Zwänge sowie der vielen Vorgaben des Denk-mal- und Arbeitsschutzes faktisch nicht realisieren.“ Liest sich gut - aber auch stimmig? Der Polizeichef argumentiert wie ein Bauherr. Ist aber nur Mieter.

Und vom „Besitzer“ hört die Öffentlichkeit kein Wort. Eigentlich müsste der Bau- und Lie-genschaftsbetrieb NRW sagen: „Wir schaffen oder können das nicht, was die Polizei von uns verlangt. Die Ansprüche überfordern uns!“

Ist es tatsächlich so wie der Polizeipräsident die Kündigung begründet? Mir kommen da Zweifel und Fragen auf. Gilt das für alle Dienststellen? Vielleicht für die Einsatzleitstelle und Führungsräume, aber auch für das Polizeigewahrsam, die Kripodienststellen und die vielen Führungsstäbe? Wie wäre es denn, wenn die zuständige Polizeiinspektion wieder ins Präsidi-um ziehen würde, nahe am Einsatzgeschehen in Rüttenscheid, Holsterhausen und Frohnhau-sen? Mit dem jetzigen Plan würde sich die Polizei vom Bürger entfernen und die gute Ein-satzlage aufgeben. Wie sind die Verhandlungen zwischen Mieter und Vermieter gelaufen? Man hört von Unstimmigkeiten. Was kostet der Auszug und eine Neuanmietung?

Stille. Vom Polizeibeirat der Stadt Essen als Bindeglied zwischen Polizei und Bürger kein Wort. Die großen Kommunalparteien (SPD, CDU, Grüne)schweigen. Was sagt das NRW-Innenministerium als oberster Dienstherr der Polizei dazu? Schweigen. Anfragen werden nicht beantwortet. Selbst der ehemalige Polizeipräsident von Essen und Düsseldorf Michael Dybowski, der sich gegen einen Auszug positioniert hat, kriegt keine Antwort. Von der Dienst- und Fachaufsicht des Finanzministerium hat die Öffentlichkeit auch noch nichts ge-hört. Erst nachdem die Tageszeitungen berichteten, begründete der Behördenleiter Frank Richter die Mietkündigung im sozialen Netzwerk Facebook. Presse, Rundfunk, Fernsehen blieben außen vor.

Erst Essen und dann auch noch die Polizeibehörden in Duisburg, Bochum und Oberhausen. Auch die Polizeipräsidenten möchten ihre historischen Gebäude verlassen und sich aus ihrer Geschichte verabschieden. Oder haben sie eine „moderne Liegenschaft“ wie in Essen im Auge? Voll klimatisiert, hell, Baukastenformat in Beton und Glas. Angeblich haben sich die Amtskollegen an der Theodor-Althoff-Str. 4 im Zweitsitz von Frank Richter die Klinke in die Hand gegeben.

Mein Fazit: Das Milliardenunternehmen BLB NRW ist offensichtlich nicht in der Lage, alte intakte, historische Gebäude für eine moderne Polizeiarbeit umzugestalten. Mit dem Auszug aus den alten Gebäuden werfen die Behörden einen Teil ihrer Identität und Geschichte über Bord. Es geht um mehr als nur Geld. Es geht um Historie, Identität und das Kerngeschäft „Einsatz für den Bürger“. Aber das haben manche Entscheider nicht in ihren Plänen. Eine Führungskraft wird wie folgt zitiert: „Der Behördenleiter möchte seine Führungsmannschaft nahe beisammen haben – alles unter einem Hut. Und das im digitalen Zeitalter, wo ruckzuck eine Schalte möglich ist? Welchen Wert hat das Thema Geschichtsdefizite und Fehlentwick-lungen innerhalb der Polizei?
Ich stelle mir vor, die Bundesregierung hätte den Reichstag in Berlin auch so behandelt. Weg mit dem alten Kasten, wir wollen ein modernes Gebäude – die Geschichte des alten Baus interessiert nicht. Umgestaltung zu teuer und nicht möglich. Den Aufschrei hätte man bis nach NRW gehört. Und in Essen ruht der See.

P.S. 2007 wurde das Stadtgebiet Mülheim a. d. R. dem Polizeipräsidium in Essen zugeordnet. Die eigene Polizeibehörde verlor ihre Selbstständigkeit. Das historische Polizeipräsidium an der Von-Bock-Straße, 1937 errichtet und jetzt Dienstsitz von verschiedenen Dienststellen, wie dem Staatsschutz und der Hauptwache, soll ebenfalls „abgemietet“ werden. Es wäre dann im Ruhrgebiet das fünfte historische Polizeigebäude, das dem BLB NRW „geopfert“ würde.

Autor:

Uwe Klein aus Essen-Süd

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