Geschichte zwischen Ost und West - zum Mauerfall

Er war eine wahrhafte Koryphäe auf seinem Gebiet, landesweit für sein aussergewöhnliches Talent bekannt. Keiner kannte sich so gut mit dem menschlichen Herzen und dessen Störungen aus.
Die kleine Klinik in der er Oberarzt der Kardiologie war, lag ruhig und beschaulich am Rande einer Seenplatte der ehemaligen DDR. Das Personal mochte den ausgeglichenen und sympathischen Chef, nicht nur wegen seiner aussergewöhnlichen Fähigkeiten.
Eines Tages kam ein Patient in die Klinik, dessen Schrittmacher sich im Vorhof des Herzens verklemmt hat. Für den Mann war das eine lebensbedrohliche Situation, der Schrittmacher konnte nicht ausgewechselt werden. Es bestand die Gefahr das Herz zu verletzen.
Es gab kein geeignetes Instrument und selbst ein fähiger Chirug wie er wusste auf Anhieb keinen Rat.
Er überlegte welche die beste Methode sei und kam zu dem Schluss, ein eigenes chirugisches Instrument zu konstruieren.
Ein gewagtes Hinterfangen. Der Patient lag bereits in der Narkose, das OP-Team war bereit und optimistisch, dass der Chef alles tun wird, das Leben dieses Menschen zu retten.
Schliesslich hatte der Mann den mehrere hundert Kilometer dauernden Transport überstanden. Der Kardiologe setze eine Schnitt an der Subclavia und führte das Instrument durch die Aterie bis hin zum Vorhof des Herzens.
Er hat sich vorher gut überlegt, wie das Hilfmittel konstruiert sein muss, um an die richtige Stelle zu gelangen. Konzentriert arbeitete er sich milimetergenau bis zum Schrittmacher vor. Seine Hand war ruhig, sein Blick klar und konzentriert.
Das fast unmögliche gelang, er schaffte es den Schrittmacher zu lösen und so zu platzieren, dass das Gerät weiterhin fehlerfrei arbeiten konnte. Das Leben des Patienten war gerettet.
Wieder einmal hatte er bewiesen, dass er ein Meister seines Fachs ist. Man feierte den Erfolg bescheiden und jedes Teammitglied war stolz darauf, unter seiner Führung arbeiten zu dürfen.

Die politische Wende überrollte die DDR und selbsverständlich machten Übernahmen auch nicht vor der Klinik halt.
Optimistisch sah er der Zukunft entgegen. Vielleicht würde eine neue, bessere Ausstattung den Ruf des Krankenhauses weiter vorantreiben. Er könnte über die bisherigen Grenzen hinaus, Menschen helfen.

Eine Horde westdeutscher Manager stürmte den Ort, dem ihn so sehr ans Herz gewachsen war. Stolz zeigte er seine Klinik und berichtete über seine ungewöhnlichen Methoden.
Man schenkte ihm keine Beachtung, machte sich lustig über Ausstattung und OP-Methoden. Schliesslich war man in Westdeutschland, nach eigenem Empfinden, wesentlich fortschrittlicher. Was die "Ossis" hier in all den Jahren geleistet haben, war nicht der Rede wert. Die Zukunft der Chirugen lag in jungen, gut ausgebildeten Ärzten die zudem was von Krankenhausmanagement verstehen.
Die Zeiten sozialistischer Vollbeschäftigung sollten ein Ende haben.
Er war von nun an Luft, seine Erfolge, seine Brillanz - alles Vergangenheit. Keiner wollte sich was von einem Ossi etwas vormachen lassen. Es war auf keinen Fall möglich, dass er ein umfangreicheres Wissen hat, als sie, die zum Teil in den USA ausgebildet wurden. Die Klinik zog um. Stadtnah, modern und zeitgemäss präsentierte sich das Unternehmen der Gesamt-BRD. Man nutzte dazu grosszügige Staatshilfen aus. Er, dessen Namen den hohen Anspruch der Abteilung rechtfertigte, spielte keine Rolle mehr.

Er ging abends desillusioniert nach Hause, wurde zunehmend schweigsamer und ertränkte seinen Kummer im Alkohol. Seine sonst so ruhige Hand zitterte beim leichtesten Eingriff. Sein ehemaliges Team nahm das erschüttert zur Kenntnis. Und dieser Mann sollte der ungekrönte König der Kardologie sein?

Die neuen Herren fühlten sich in ihrer Annahme bestätigt. Ein mittelmässiger Operateur der mit vorsintflutlichen Instrumenten an den Herzen der Menschen herumdokterte war für ein solch modernes Krankenhaus nicht mehr tragbar. Sein Alkoholkonsum stieg mit seinem Kummer. Das, was er am Besten konnte, zählte nicht mehr.

Sein eigenes gebrochenes Herz konnte er nicht mehr retten...........

Autor:

Beatrix Gutmann aus Essen-Süd

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