„Wahnsinn, wie grün es hier ist“
Austauschprogramm: Von Tunis nach Essen

Haythem Ayari und Kai Gehring vor der Grugahalle.

 | Foto: René Heesen

Mit dem „Internationalen Parlaments-Stipendium“ (IPS) des Bundestags lernen junge Männer und Frauen aus aller Welt Deutschland und seine Demokratie kennen. Im Rahmen des Programms hat Haythem Ayari aus Tunesien Essen besucht und ist überrascht von der Vielfalt im Ruhrgebiet.

„Ich bin mit der deutschen Sprache, der Kultur und deutschem Fernsehen aufgewachsen.“ Nun lernt Haythem Ayari über das Internationale Parlaments-Stipendium (IPS) Deutschland noch intensiver kennen. Den Abschluss als Diplom-Elektroingenieur hat er in der Tasche, nun taucht der 26-jährige Tunesier in die Demokratie in Deutschland ein. Dazu hat er in Berlin den Bundestag kennengelernt und in Essen Kai Gehring bei seiner Arbeit als Bundestagsabgeordneter begleitet. „Der Bundestag ist nicht nur eines der größten demokratischen Parlamente der Welt, sondern auch ein Ort, in dem die Themen besprochen werden, die den Menschen in Deutschland wichtig sind.“ Überall sehe er, wie für die Bundestagswahl geworben werde. Ganz anders in Tunesien: „Bei uns sind gerade auf dem Land die Wege zum Wahllokal beschwerlich und weit, so dass es einigen quasi unmöglich ist, ihre Stimme abzugeben.“

Mission des IPS-Programms erfüllt
In Essen angekommen erstaunte Ayari, wie grün die Stadt ist. „Ich habe eine der größten Städte in Deutschland erwartet, mit viel Industrie.“ Angetroffen habe er eine lebendige Stadt der Vielfalt. „Ich bin überrascht, wie vielfältig die Wurzeln der Menschen im Ruhrgebiet sind und sie hier miteinander leben.“ Mission des IPS-Programms erfüllt, könnte man sagen. Denn die Vielfalt Deutschlands kennenlernen, das ist eines der Ziele des IPS-Programms, erläutert Kai Gehring, grüner Bundestagsabgeordneter für Essen und einer der Organisatoren des Programms. „Essen als Mittelpunkt des größten Ballungsraums Europas ist ein Erlebnis.“

Bande in alle Welt schaffen
Das IPS-Programm will nicht nur für Demokratie und parlamentarische Spielregeln werben, sondern auch Bande in alle Welt schaffen. Gehring: „Vor vier Jahren hatte ich einen jungen Mann aus dem Irak zu Gast, der arbeitet inzwischen im diplomatischen Dienst bei der Uno in Genf.“ Die IPS-Stipendiaten seien Freunde Deutschlands in aller Welt und wichtige Netzwerkpartner in ihren Heimatländern. Hinzu kommt der Austausch der Stipendiatinnen und Stipendiaten untereinander, ergänzt Ayari. „Im Sonderprogramm für die arabischen Staaten sind nicht nur Leute aus Tunesien, sondern auch aus Jordanien, Marokko, Oman und Palästina.“ Er erlebe kulturelle Unterschiede zwischen den arabischen Ländern und anregende Diskussionen auch über Tabuthemen wie Frauenrechte, Homosexualität und Rechte von LGBTI.
Beim Gang durch Essen zeigte sich Ayari beeindruckt über die breiten Straßen und die ordentlichen Fuß- und Radwege. Das Miteinander im Straßenverkehr könne aber noch besser werden, fügt Gehring hinzu. Zudem gebe es noch viel zu tun, um Straßen und Schienen zu sanieren und die Verkehrsfläche in Essen gerecht aufzuteilen. „Wir müssen Essen gegen die Klimakrise wappnen. Denn nichts kommt uns teurer zu stehen, als keinen Klimaschutz zu betreiben“, betont der grüne Bundestagsabgeordnete.

Debatten um Klimaschutz in Tunesien erst im Entstehen
In Tunesien sind Debatten um Klima- und Umweltschutz erst im Entstehen, so Ayari. „Zusammen mit vielen anderen Jugendlichen versuchen wir die Klimakrise auch in Tunesien zu bekämpfen – auch bei uns gibt es eine Fridays-for-Future-Bewegung. Aber wir finden im Parlament kein Gehör.“ Dabei erlebe die ganze Welt eine Klimakrise und der Sommer in Tunesien sei so heiß wie nie zuvor gewesen. Ayari: „Wenn ich nach Tunesien zurückkehre, will ich als Ingenieur arbeiten und mich dort für die Menschrechte und die Beteiligungsmöglichkeiten für die Tunesier in ländlichen Regionen einsetzen.“

Hintergrundinformation: Das IPS-Programm
Seit 1986 gibt es das „Internationale Parlaments-Stipendium“ (IPS) des Bundestags. Mit dem Programm unter der Schirmherrschaft von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) wird jährlich für bis zu 120 Stipendien für junge Hochschulabsolventinnen und -absolventen aus 50 Nationen ein Aufenthalt in Deutschland gefördert.

Das IPS ist ein weltweit einmaliges Demokratieförderinstrument, das jungen Menschen aus aller Welt die parlamentarische Arbeit aus der Nähe zeigen und den Stellenwert von zivilgesellschaftlichem Engagement, pluraler Gesellschaft und Minderheitenschutz vermitteln will. Interkulturelle Kompetenz wird als ein wichtiger Aspekt für das Miteinander der unterschiedlichen Kulturkreise im IPS und für das Zurechtfinden in Deutschland im Alltag gelehrt. Darüber hinaus zeigt das Programm, wie wichtig Erinnerungskultur als politischer Auftrag für den Zusammenhalt einer Gesellschaft ist.

Ein Praktikum in einem Abgeordnetenbüro gibt ergänzend ganz unmittelbare praktische Einblicke in den parlamentarischen Alltag und ist das Kernstück des IPS. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages engagieren sich seit Jahrzehnten mit viel Herzblut für das IPS, auch in Pandemiezeiten.

Die IPS-Partner, die Berliner Universitäten, flankieren das IPS akademisch und die politischen Stiftungen zeigen ihre Arbeit und Aufgabenspektren in Workshops und Seminaren. Über eine lebendige Alumniarbeit mit inzwischen über 4.500 Alumni wird der Kontakt zu den ehemaligen Stipendiaten gepflegt, die Deutschland als bilaterale Brückenbauer oft ein Leben lang verbunden bleiben und die die Idee des IPS in die Welt tragen und sich in ihren Heimatländern dafür engagieren.

Seit 2012 gibt es im Lichte des seinerzeitigen arabischen Frühlings auch ein vierwöchiges Sonderprogramm für die arabischen Staaten mit bis zu 24 Teilnehmenden. Dieses Programm beruht auch auf der Initiative von Kai Gehring. Seit 2020 gibt es ein weiteres vierwöchiges Sonderprogramm für bis zu 8 Teilnehmende für die afrikanischen Staaten südlich der Sahara, für das sich Kai Gehring ebenfalls maßgeblich eingesetzt hat.

Autor:

Lokalkompass Essen aus Essen-West

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