Integrations-Serie: „Hattingen ist für mich zur Heimat geworden“

Seit 42 Jahren lebt die Serbin Miloratka Be
enjag schon in Hattingen und fühlt sich hier heimisch. Foto: Kamphorst
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    enjag schon in Hattingen und fühlt sich hier heimisch. Foto: Kamphorst
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(von Cay Kamphorst)

Seit 44 Jahren lebt Miloratka Be
enjag schon in Deutschland, davon 42 Jahre in Hattingen. Sie fühlt sich wohl, ist sozial und beruflich integriert und hat ihre Familie hier gegründet.

„Ich bin im Oktober 1967 nach Deutschland gekommen. Zuerst nach Lüdenscheid und nach zwei Jahren aus Liebe zu meinem Mann nach Hattingen. Er hatte damals auf der Henrichshütte gearbeitet. Ich bekam sofort eine Anstellung im evangelischen Krankenhaus.“ Bis zur Rente blieb dort ihr Arbeitsplatz. Miloratka Be
enjag stammt aus dem ehemaligen Jugoslawien, heute der serbische Teil.
In Jugoslawien war man damals bereits mit 18 Jahren volljährig. Mit 19 Jahren hatte sie eine abgeschlossene Ausbildung zur Krankenschwester in der Tasche, war jung und begierig auf das Leben. In Deutschland wurden händeringend Arbeitskräfte gesucht, in ihrem Heimatland war es schwieriger. Also unterschrieb sie einen Zwei-Jahres-Vertrag und ging nach Deutschland.
„Ich selbst stamme aus Kraljevo, das liegt etwa 130 Kilometer südlich von Belgrad. Insofern kannte ich die Stadt und Belgrad war auf einem ähnlichen Stand wie Deutschland. Darum traf mich der ‚Kulturschock‘ nicht wirklich“, beschreibt Miloratka Be
enjag ihre ersten Eindrücke vom fremden Land. „Aber ich kenne einige Menschen, die vom Land kamen und erst einmal von den neuen Eindrücken fast ‚erschlagen‘ wurden. Wir lachen heute noch darüber. Sie fuhren zum ersten Mal mit dem Zug, kannten keinen Straßenverkehr und wenn sie an einer Kreuzung standen, wussten sie teilweise nicht, wie sie rüberkommen konnten“, lacht die 63jährige.

STADTSPIEGEL-Serie: "Integration in Hattingen: 40 Jahre neue Nachbarn"

„Als ich ankam, sah Hattingen ganz anders aus als heute. Die ganze Stadtentwicklung habe ich selbst miterlebt. Es hat sich viel verändert.“ Ihre Ausbildung wurde in Deutschland anerkannt und so konnte sie sofort mit der Arbeit beginnen. „Ich war stolz darauf, auf so einer guten Schule gewesen zu sein.“ Im Schwesternwohnheim fand sie eine Unterkunft und erzählt zwinkernd vom „Schabernack“, den sie und ihre Kolleginnen damals so getrieben haben.
Die einzige Barriere war die Sprache. „Wir freuten uns auf Deutschland, waren jung und wollten Geld verdienen.“ Bei aller Euphorie habe sie aber völlig übersehen, dass ein anderes Land auch eine andere Sprache bedeutete!
Ähnlich erging es ihrem Mann. „Das war wirklich schlimm. Ich sprach ja kein Wort deutsch und konnte mich nicht ausdrücken, mich nicht unterhalten. In einem Geschäft fiel mir etwas runter und ich konnte mich nicht einmal entschuldigen und fragen, was ich jetzt machen kann. Es ist, als sei man einfach plötzlich stumm. Das Gefühl ist wirklich schrecklich.“
Die neuen Eindrücke im fremden Land waren durchweg positiv.„Alles war sehr gut organisiert, als wir ankamen. Es gab extra für uns einen dreimonatigen Sprachkurs und das Lernen hat viel Spaß gemacht.“ Aber man müsse natürlich am Ball bleiben, in drei Monaten könne man nicht alles lernen, nur einen Einblick in die Grundlagen erhalten. „Ich habe mich nie geschämt zu sprechen. Egal wie falsch es war. Ich wollte auch nicht, dass mit mir in einer ‚ausländerverniedlichten Sprache‘ gesprochen wurde. Sondern ganz normale volle Sätze. Und dass man mich verbesserte. Wenn man in ein fremdes Land kommt, dann sollte man auf jeden Fall die Sprache sprechen. Das ist für mich eine der obersten Regeln für gute Integration.“
Sie prangert jene Ausländer an, die selbst nach Jahren in Deutschland die Sprache noch nicht beherrschen. „Jeder kann eine zweite Sprache lernen. Wer das nicht tut, will auch nicht. ‚Nicht können‘ ist nur eine Ausrede. Das ist aber das Mindeste, das wir als Gäste dem Gastland schuldig sind. Eine gewisse Dankbarkeit für die Aufnahme halte ich für angebracht.“ Und dazu gehöre auch, sich dem Gastgeber anzupassen.
„Als wir 1967 nach Deutschland kamen ging es uns sehr gut. Wir wurden freundlich aufgenommen, erhielten Sprachkurse, Unterstützung bei der Arbeits- und Wohnungssuche und von den Deutschen erhielten wir Anerkennung.“ Das habe sich sehr geändert, als die Türken in das Land kamen. „Ich will gar nichts Böses sagen, ich habe ganz liebe türkische Freunde und Bekannte. Aber für mich ist Fakt, dass sich ab da vieles in Deutschland änderte“, benennt Mirolatka Be
enjag ihre Sicht der Dinge. „Viele waren Analphabeten und nicht in der Lage zu lernen. Sie kamen aus einem ganz anderen Kulturkreis und die Anpassung fiel ihnen sehr schwer. Das hat sich, meiner Meinung nach, bis heute nicht geändert. Ich denke auch, dass das Tragen der Kopftücher in vielen Fällen eher eine Provokation darstellen soll, als dass es mit Glaube oder Kultur zu tun hat.“
In Hattingen fühlte sich Milratka Be
enjag immer sehr wohl und gut integriert. Trotzdem habe sie immer wieder beweisen müssen, dass sie nicht anders als die deutschstämmigen Mitbürger sei. „Nur bei meiner Arbeit im Krankenhaus konnte ich stets ich selbst sein. Jeder lernte mich so kennen, mit meiner unperfekten Aussprache. Da wurde ich so angenommen, wie ich war.“
Die 63jährige Serbin hatte nie geplant für immer in Deutschland zu bleiben. Das habe sich einfach so ergeben. „Der Plan war, hier zu arbeiten, Geld zu verdienen, es zur Seite zu legen und wieder zurück nach Jugoslawien zu gehen. Bei Urlauben in der alten Heimat merkten wir dann aber, dass das Geldverdienen in Deutschland einfacher war. Hier gab es Arbeit, in Jugoslawien war das schon schwieriger. Dazu unterstützten wir ja auch noch unsere Familien. Wir wussten nicht, was uns erwarten würde, wenn wir zurückgehen. Es wäre ein Aufbruch in eine ungewisse Zukunft gewesen. In Deutschland hatten wir unsere Arbeit, unsere Kinder besuchten deutsche Kindergärten und Schulen. Wir hatten hier unsere Freunde, gute Kollegen und das Leben lief immer weiter.“
Mit dem Tod der Eltern brach wieder ein Stück Heimat weg. Inzwischen ist Deutschland für sie mehr Heimat geworden, als ihr Herkunftsland. „Das konnte und wollte ich lange nicht zugeben. Ich komme mir wie eine Verräterin an meinem eigenen Land vor. Ich fühle mich in Deutschland sehr wohl und bin glücklich hier. Obwohl ich jetzt seit drei Jahren in passiver Altersteilzeit bin, werde ich immer noch von den alten Kollegen zu Festen eingeladen und das ist einfach ein sehr schönes Gefühl.“

Autor:

Roland Römer aus Hattingen

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