ÖPNV-"Kahlschlag": Zwei weitere Fraktionen rudern nach Prüfung zurück
CDU und Bündnis 90/Die Grünen lehnen "Netz 23"-Konzept nach Prüfung ab

Teil des "Streichkonzerts" von "Netz 23": Die Straßenbahnstrecke zum Hauptfriedhof soll stillgelegt, die Linie 104 zur Gänze eingestellt werden. Foto: PR-Foto Köhring
  • Teil des "Streichkonzerts" von "Netz 23": Die Straßenbahnstrecke zum Hauptfriedhof soll stillgelegt, die Linie 104 zur Gänze eingestellt werden. Foto: PR-Foto Köhring
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Der Antrag liest sich sperrig: "Die Verwaltungsvorlage Drucksache-Nr. V 19/0396-01 wird nicht zur Abstimmung gebracht." Dies ist das Vorhaben der Fraktionen CDU und Bündnis 90/Die Grünen für die kommende Ratssitzung am Donnerstag, 27. Juni. Es handelt sich um das Eckpunktepapier zum Nahverkehrsplan. Dieses trägt den Namen "Netz 23" und wird allgemein als "Kahlschlag" bezeichnet. Die genannten Fraktionen rudern zurück, so tat es zuvor schon die SPD.

Der vorliegende Entwurf entspräche nicht dem Ratsauftrag, alle möglichen Handlungsfelder zum Abbau des Ruhrbahn-Defizites ins Kalkül zu ziehen. "Stattdessen ist er einseitig zu Lasten der Kunden der Ruhrbahn auf Angebotsreduzierung ausgerichtet. Dies ist nicht im Sinn der damals antragstellenden Fraktionen", lassen Christina Küsters (CDU-Fraktionsvorsitzende) und Tim Giesbert (Fraktionssprecher Bündnis 90/Die Grünen) wissen.  

"Netz 23" klammere Bereiche wie den nach Ansicht vielerlei Gutachten gerade im oberen Segment aufgeblähten Personalhaushalt vollständig aus. Betreffs innovativer Strategien zur Attraktivierung des ÖPNV wie "on-demand"-Angebote oder ökologischere Antriebe herrsche "Fehlanzeige". "Die Umsetzung dieser Vorlage würde einen nicht zu rechtfertigenden Attraktivitätsrückgang des ÖPNV in unserer Stadt bedeuten", so Küsters und Giesbert. 

Wie andere Fraktionen hätten sich auch die von CDU und Bündnis 90/Die Grünen ausführlichst unter Einvernahme von Ruhrbahn-Experten mit der betreffenden Vorlage befasst. Sie kommen letztlich zu dem Schluss, dass „Netz 23“ aufgrund seiner einseitigen Ausrichtung nicht optimierbar ist. Logische Konsequenz daraus ist eine neue Konzeption, die die Attraktivität des ÖPNV nicht dermaßen reduziert, wie es die betreffende Vorlage intendiert.

CDU und Bündnis 90/Die Grünen wollen nun die Verwaltung beauftragen bis Ende der Sommerpause eine neue Konzeption zu erstellen. Sie solle "dem Geist des Ratsauftrages", im Haushalt der Ruhrbahn auf mannigfachen Feldern eine Summe von sieben Millionen Euro pro anno einzusparen, deutlich besser als der vorliegende Entwurf dies tut, gerecht werden. Dazu gehörten Maßnahmen auf Handlungsfeldern wie Effizienzsteigerung des Angebotes, Modernisierung, Personalhaushalt als auch Mehreinnahmen durch gezielte, wirtschaftlich nachvollziehbare Angebotsausweitungen. Etwaige Angebotskürzungen seien dabei weiterhin Teil des Spektrums, müssen aber auch logisch (etwa durch mangelndes Fahrgastaufkommen) begründet sein.

"Ruhrbahn hat etwas
zu verbergen"

Fraktionssprecher Tim Giesbert nimmt die Ruhrbahn verbal ins Visier. Anlass ist die Weigerung der Ruhrbahn, der Politik den aktuellen Stellenplan zukommen zu lassen. Er sei ein internes Dokument und könne nicht zugestellt werden, so Geschäftsführer Uwe Bonan an die Adresse der Grünen.

„Wer so mauert, hat etwas zu verbergen“, betont Giesbert. Das passe zu der Wagenburgmentalität, die man einst der Mülheimer Verkehrsgesellschaft (MVG) und nun der Ruhrbahn nachsage. Giesbert erinnert an diverse externe Gutachten, die der einstigen MVG im Bereich der höheren Verwaltungsebene einen personellen Wasserkopf attestiert hätten, der nun in die Ruhrbahn übertragen worden sei. Den gelte es nunmehr einer kritischen Prüfung zu unterziehen.

Grünen-Verkehrsexperte Axel Hercher: „Wir als Mülheimer Grüne haben keinen Sitz im Aufsichtsrat des Unternehmens. Wie sollen wir dann die Personalsituation beurteilen? Verwunderlich ist, dass der Stellenplan der Stadtverwaltung für jeden einsehbar ist, der der Ruhrbahn mit jährlich 30 Millionen Euro von den Steuerzahlern zu begleichendem Defizit hingegen ein Staatsgeheimnis darstellt. Man hat den Eindruck, dass beim unvermeidlichen Sparen einzig die Ruhrbahn-Kunden bluten sollen, während die eigenen Unternehmensstrukturen ein selbst für gewählte Stadtverordnete nicht lüftbares Geheimnis sind. Giesbert kündigt an: „Wir werden das so nicht auf sich beruhen lassen. Weitere Schritte werden folgen.“

Auch die SPD sieht Nachbesserungsbedarf

Mit Blick auf das von der Verwaltung vorgelegte Eckpunktepapier zum ÖPNV sind sich auch Unterbezirksvorstand und Fraktion der SPD einig, dass das Papier in der vorliegenden Form keine brauchbare Planungsgrundlage für die Erarbeitung eines neuen Nahverkehrsplans darstellt: „Auch wenn klar ist, dass angesichts der Haushaltszwänge Kosten im ÖPNV reduziert werden müssen, sind wir uns sicher, dass es dazu bessere Ideen gibt, als die, die jetzt auf dem Tisch liegen", stellen Cem Aydemir und Dieter Spliethoff fest.

Autor:

Marc Keiterling aus Essen

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