Kindeswohlgefährdungen auf neuem Höchststand
Kinderschutzbund Essen schützt Kinder und will Stationäre Hilfen ausbauen

Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen nimmt zu. Der Kinderschutzbund Essen will seine Hilfeangebote vorantreiben. | Foto: DKSB / Susanne Tessa Müller

Die Zahlen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder steigen an; immer mehr Fälle werden bekannt. 259 Kinder und Jugendliche in Essen wurden im Jahr 2022 Opfer sexualisierter Gewalt. Im Jahr zuvor waren es 242 Kinder. Rund 80 Prozent sind zwischen sechs und 14 Jahre alt. Um die Hilfeangebote für betroffene Kinder und Jugendliche voranzutreiben, haben der Essener Kinderschutzbund und das Jugendpsychologische Institut (JPI) der Stadt Essen gemeinsam die Fachstelle „Spezialisierte Beratung bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ gegründet. Die Mitarbeiterinnen sind unter folgenden Telefonnummern erreichbar: Kinderschutzbund Essen 0201/202012 und JPI 0201/88-51333.

„Der wichtigste Schritt ist die Sensibilisierung der Menschen für das Thema von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Keiner darf wegschauen. Keiner soll sich schämen, genauer nachzudenken und nachzufragen“, sagt Carsten Bluhm, Fachbereichsleitung Jugendamt der Stadt Essen. „Das Land hat durch die dauerhafte Förderung der Fachberatungsstellen einen Qualitätssprung im Bereich der Beratung bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendlichen geschaffen. Lücken wurden erkannt und geschlossen, dazu hat auch die Stadt Essen mit der Finanzierung des Eigenanteils und der konsequenten Umsetzung gemeinsam mit dem Kinderschutzbund einen wichtigen Beitrag geleistet“, so Carsten Bluhm.

Seit dem Jahreswechsel 2021/22 unterstützen und beraten vier Fachkräfte des Kinderschutzbundes und des JPI betroffene Kinder, Jugendliche und deren Familien. Allein der Kinderschutzbund verzeichnete seitdem fast 170 Beratungsanfragen. Beim JPI sind es etwa 150 Beratungsanfragen. Das Alter der Kinder reichte von vier bis 19 Jahren.

Kindeswohlgefährdungen nehmen zu

Nicht nur die Fälle von sexualisierter Gewalt nehmen zu. Auch die Kindeswohlgefährdungen insgesamt steigen an. So viele Fälle wie im Jahr 2022 gab es noch nie in Deutschland. Bei fast 62.300 Kindern oder Jugendlichen stellten die Jugendämter eine Kindeswohlgefährdung fest. In Essen bemerkt der Kinderschutzbund ebenfalls, dass die Kindeswohlgefährdungen zunehmen. Im ersten Halbjahr 2023 erreichten den Ortsverband bereits 352 Anfragen nach einem Platz in einer seiner beiden Kindernotaufnahmen. Im gesamten Jahr 2022 waren es 445 Anfragen, im Jahr davor 407 Anfragen.

„Die Zahlen bestätigen leider unsere Einschätzung, dass die Coronapandemie steigende Fälle von Kindeswohlgefährdungen zur Folge hatte. Durch die Lockdowns und Kontaktbeschränkungen waren viele Familien gezwungen, viel Zeit auf engem Raum miteinander zu verbringen. Die zum Teil daraus entstandenen oder sich verschärfenden Probleme in den Familien zeigen sich nun mit Verspätung“, erklärt Prof. Dr. Ulrich Spie, Vorsitzender DKSB OV Essen e. V.

In seinen Kindernotaufnahmen „Kleine Spatzen“ und „Spatzennest“ stellt der Kinderschutzbund insgesamt 26 Plätze für Kinder im Alter von zwei bis zwölf Jahren zur Verfügung. Hier finden Kinder in Krisensituationen, die vom Jugendamt in Obhut genommen werden, vorübergehend ein neues Zuhause. In den Stationären Hilfen arbeiten unter anderem Erzieher und Sozialpädagogen zusammen, um den oftmals traumatisierten Kindern Schutz und Halt zu bieten. Fördermaßnahmen tragen dazu bei, den Kindern neue Perspektiven zu eröffnen.

Seit Jahresbeginn lebten in den beiden Notaufnahmen des Essener Kinderschutzbundes bislang 45 Kinder (Stand 30. Juni 2023). 22 davon wurden in diesem Jahr neu aufgenommen. 19 Kinder waren zum Zeitpunkt ihrer Aufnahme jünger als sechs Jahre alt; 21 Kinder waren im Grundschulalter.
Damit spiegelt sich in Essen die bundesweite Entwicklung wider: Die Zahl der Inobhutnahmen steigt an. 2022 nahmen die Jugendämter in Deutschland mehr als 66.400 Kinder und Jugendliche vorübergehend zu ihrem Schutz aus ihren Familien. Das waren rund 18.900 Fälle oder 40 Prozent mehr als im Vorjahr. In Essen ist die Anzahl der vorläufigen Schutzmaßnahmen um 5,7 Prozent gestiegen, in Nordrhein-Westfalen um 35,7 Prozent.

Bedarf übersteigt vorhandene Plätze

Der Bedarf an Plätzen in Kindernotaufnahmen übersteigt bei Weitem die tatsächlichen Plätze. Viele Kinder müssen abgewiesen werden und kommen dann in anderen Kommunen unter, das bedeutet immer auch ein Verlassen der Heimatstadt. Der Kinderschutzbund Essen musste seit Jahresbeginn mehr als 330 Anfragen ablehnen. Um diesem Missstand entgegenzutreten, ergreift der Ortsverband die Initiative. Er plant zurzeit ein drittes Schutzhaus. „Denn wenn nicht genug Plätze vor Ort vorhanden sind, bedeutet das, dass Kinder weit entfernt untergebracht und aus ihren vertrauten Kitas, Schulen und Beziehungsfeldern herausgenommen werden müssen. Das wollen wir nicht akzeptieren“, so Prof. Dr. Ulrich Spie.

Der Kinderschutzbund ist auf Spenden angewiesen, um dieses Projekt umzusetzen und den Bau des neuen Kinderschutzhauses zu verwirklichen.

Autor:

Deutscher Kinderschutzbund Ortsverband Essen e.V. aus Essen-Nord

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