Kasperle-Theater bei der Kaffeefahrt

Nicht nur Senioren sind gerne dabei, wenn zu einer Kaffeefahrt eingeladen wird. Mit einem netten Kaffeekränzchen hat das aber nicht immer etwas zu tun. | Foto: Magalski
  • Nicht nur Senioren sind gerne dabei, wenn zu einer Kaffeefahrt eingeladen wird. Mit einem netten Kaffeekränzchen hat das aber nicht immer etwas zu tun.
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Der junge Mann mit dem schicken Hemd könnte ihr Enkel sein. Lächelnd plaudert er im Saal der Lüner Gaststätte über Produkte und die Senioren hängen an seinen Lippen. Zu Besuch bei einer "Kaffeefahrt".

Die Senioren kommen pünktlich. Viele leben allein, die Tage sind grau und gleich. Aufstehen, Tabletten schlucken, Fernsehen. Vielleicht ein kleiner Einkauf, um unter Menschen zu kommen. Drinnen im Saal lockt Abwechslung. Eine "kurzweilige Infoveranstaltung" verspricht die Einladung, die vor ein paar Wochen mit der Post kam. Hunderte wurden vermutlich verschickt für eine Abschlussfeier mit "tollen" Geschenken für die Teilnehmer. Der Volksmund nennt es anders. Kaffeefahrt. Ein Name, der nicht ohne negativen Beigeschmack ist. Seitenweise Warnungen vor schwarzen Schafen sind im Internet zu finden. Die Polizei sagt zum Thema: "Zu verschenken hat in der Regel niemand etwas. Bei Angeboten, die zu schön sind um wahr zu sein, ist Vorsicht geboten."

Witze über sein Sexleben

Ob das in Lünen anders ist? Verkäufer Andreas (Name geändert) wartet schon und ist an diesem sonnigen Morgen gut gelaunt. Scherzt mit den alten Leuten, gut 15 sind gekommen, und trällert ein Lied. Ich traf sie irgendwo, allein in Mexico, Anitaaaa... Dann macht er ein paar Witze über sein Sexleben. Das kommt gut an. "Guten Morgen", ruft Andreas. Alle Senioren antworten im Chor, wie beim Kasperletheater. Zeit für die nächste Stufe der Vertrauensbildung: "Wenn Sie mich mögen, dann sagen Sie Du zu mir. Wer mich nicht mag, bleibt beim Sie, dann weiß ich gleich, woran ich bin." Wer möchte da schon unangenehm auffallen? Also hören alle brav zu, was Andreas erzählt, lachen über seine Witze und zeigen auf, wenn er wissen will, wer die eine oder andere Firma kennt. Den EC-Kartenleser hat Andreas Kollege schon längst aufgebaut, vom versprochenen Essen hingegen keine Spur. Dafür stapeln sich die Produkte, die gleich beworben werden sollen. Aber Andreas wäre wohl nicht hier, wenn er dafür nicht auch eine einleuchtende Erklärung hätte. Und so erzählt er von den Gästen in einer anderen Stadt, die nur das leckere Essen und die Geschenke abstaubten und dann einfach gingen. "Das ist doch nicht fair", findet Andreas und zieht einen Flunsch. "Das mache ich so nie wieder, das Essen gibt es heute erst am Schluss." Die Senioren nicken verständnisvoll. Schließlich wollen sie beweisen, dass sie nicht so sind und bringen dem netten jungen Mann besonders viel Aufmerksamkeit entgegen.

"Hier wird mit Ängsten gespielt"

Andreas stellt einen Computerbildschirm vor, eine Perlenkette, ein Massage-Schaf. Die Artikel gebe es im neuen Katalog der Firma zu bestellen. Vom kuscheligen Schäfchen geht's dann zu ganz anderen Themen. Krankheiten. Herzinfarkt, Schlaganfall. Andreas redet über Trinkkuren. Ein Mann steht auf und geht. "Ich möchte Sie warnen", appelliert er an die Gäste. "Hier wird mit Ängsten gespielt." Die Senioren im Raum sind empört. "So etwas Unverschämtes, hauen Sie doch ab", regt sich eine Frau auf. Andreas lächelt weiter, klopft noch einen markigen Spruch über den „Störer“. Vermutlich erlebt er das nicht zum ersten Mal. Drei Stunden später ist alles vorbei. Andreas und sein Kollege packen zusammen, verteilen ein paar kleine Geschenke an die Gäste. "Aber das Essen gab es nicht", berichtet später eine Teilnehmerin. Nach ihren Angaben ebenfalls Fehlanzeige: Die Geschenke, ein Navigationsgerät für den Herren und ein Camcorder für die Dame, die in der Einladung angepriesen wurden. Mag sein, dass manchen Senior das gar nicht stört. Sie sind froh über die Abwechslung. Und sei es nur für eine Kaffeefahrt.

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Autor:

Daniel Magalski aus Lünen

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