Eisiges Abenteuer eines kleinen Tausendsassa...

Eisiges Abenteuer eines kleinen Tausendsassa
Eine schmerzliche, heilsame Lehre

In ein paar Tagen war Weihnachten, und Ingo erhoffte vom Christkind die sehnsüchtig gewünschten Schlittschuhe. Der Gedanke daran machte ihn schon überglücklich, und er wartete ungeduldig auf das Fest. Eis und Schnee gab es genug denn es war schon längst bitterkalt und mit jedem Flockentanz und knisterndem Eis wuchs die Lust auf die ersehnten neuen Schlittschuhe und das geliebte Schlittschuhlaufen. Das würde die größte Freude für ihn sein wenn am Weihnachtsfest dieser Wunsch in Erfüllung ginge neben all den kleinen anderen Sachen die er zwar erhoffte, aber ihm nicht ganz so

wichtig waren. Von den Eltern gab es immer lauter kleine nützliche Überraschungen die dringend gebraucht wurden.
Neun Jahre war er inzwischen und wuchs immer viel zu schnell aus all seinen Sachen heraus. Mal schauten die Beine wieder ein Stück unter der zu kurz gewordenen Jeans hervor, mal lugten die Arme viel zu weit aus dem Pullover heraus, und einen dicken, bunt gemusterten Schal konnte er immer gut gebrauchen, war er doch gerne bei Wind und jedem Wetter unterwegs um mit seinen Freunden herumzutollen.
Ingo liebte es Schlittschuh zu laufen und schlich sich gerne mal heimlich fort an den kleinen See. Alle Warnungen hatte er in den Wind geschlagen obwohl man ihn immer wieder auf alle Gefahren hingewiesen hatte. Er würde es heimlich ausprobieren und niemand in seine Pläne einweihen, die Zeit des Wartens wurde ihm einfach zu lang. Ein kurzer Moment des Zweifelns beschlich ihn. Sicher, es war längst sehr kalt und hatte auch unentwegt geschneit, aber ob es reichte dass das Eis ihn trug? Er fegte die Gedanken schnell beiseite, schnappte sich die alten Schlittschuhe die schon viel zu eng und kurz geworden waren. Er war aus ihnen eigentlich herausgewachsen wie aus Hosen, Pullovern, Jacken und Straßenschuhen, und huschte später an den vom Schnee weiß verkleideten Tannen vorbei zu dem kleinen Weiher den er so liebte. Er kannte sich dort gut aus da er auch im Sommer dort mit seinen Freunden gerne spielte. Er schnallte seine wirklich ausgedienten Schlittschuhe an, die schon sehr drückten da sie

längst zu klein waren. Eigentlich waren sie recht ungemütlich, aber seine unbändige Lust ließ ihn das vergessen. Nur ein paar Runden wollte er laufen und Kringel ins Eis ritzen, das war einfach seine größte Freude im Winter. Das kratzende Geräusch der Kufen auf dem Eis war die schönste Musik für seine Ohren.
Ein übermütiges Blitzen ließ seine lustigen Augen aufleuchten, und die gespannte, überschäumende Freude ließ ihn unvorsichtig werden. Schnell blickte er sich noch mal kurz um da er meinte ein kleines Knacken vernommen zu haben und sich wegen seines schlechten Gewissens ertappt fühlte. Aber das war wohl nur die reiche Schneelast die von einigen Bäumen gerutscht war, da die Äste diese winterliche Last kaum noch tragen konnten, oder das knackende Geräusch der dicken Eiszapfen die an der kleinen Waldhütte wie glänzende Kristalle das Dach umsäumten. Damit tröstete er sich und brachte sein mahnendes Gewissen kurzerhand zum Schweigen.
‚War wohl niemand der mir hätte folgen können’ dachte er bei sich, wohl wissend dass auch das Wissen darum etwas Verbotenes zu tun ihn etwas ängstlich und unsicher machte.
Blank, glitzernd und sehr verlockend lag der Weiher vor ihm. Ein stilles, sehr friedliches Bild das ihn nun nicht mehr länger davon abhalten konnte seinen Versuch zu starten. Er musste aufs Eis koste es was es wolle. Behutsam machte er die ersten Schritte, und wurde gepackt von der Leidenschaft einfach dahinzugleiten.

Das Eis schien fest zu sein, das hatte er sich doch schon gedacht. ‚Erwachsene sind viel zu ängstlich,’ dachte er bei sich und grinste in sich hinein; alles was Freude machte wurde verboten aber er, der kleine Tausendsassa wollte ihnen zeigen wie mutig er war. Er würde von dem Ausflug aufs Eis erzählen wenn er wieder daheim war, sich dann schön aufwärmen, am Ofen leckere Plätzchen knabbern und genüsslich heißen Kakao mit dicker Sahne schlürfen.
Bei der Vorstellung schien ihm fast schon der Duft verführerisch in die vorwitzige Nase zu steigen. Er drehte Runde um Runde auf dem Eis und überhörte bei aller Begeisterung und Freude ein leises Knacken und gelegentliches Knistern. Plötzlich jedoch wurde es ihm bewusst, doch da bemerkte er auch schon wie das Eis unter ihm nachzugeben drohte, sah dass seine Schritte manchmal kleine schwankende Dellen hinterließen so, als wenn er zu Hause auf dem Bett herumhüpfte vor lauter Freude und ausgelassenem Übermut.
Kaum hatte er das ängstlich zu Ende gedacht und sich klar gemacht in welcher Gefahr er schwebte, als mit einem lauten unangenehmen, bedrohlichen Geräusch das Eis unter ihm nachgab und er sich in Bruchteilen von Sekunden urplötzlich im eisigen Wasser wiederfand. Er versuchte nach einem Ast zu greifen an dem er sich festhalten konnte. Schlagartig war er kein mutiges fröhliches Bürschchen mehr, sondern geriet in Panik und schrie aus Leibeskräften um Hilfe, weil er spürte in welcher Gefahr er schwebte. Warum nur hatte er niemand

etwas gesagt? Nun würde er hier jämmerlich ertrinken und niemand wüsste wo man ihn suchen sollte wenn er nicht beizeiten daheim war. " Hilfe, " rief er immer wieder laut, spürte kaum mehr seine Beine weil das gurgelnde Wasser so eiskalt war und er sich vergeblich mühte ans rettende Ufer zu kommen. Als er vom Schreien schon fast heiser geworden war vernahm er das Bellen eines Hundes und aufgeregte Stimmen die nach ihm riefen. "Das ist doch Adda" dachte er noch und versuchte zu rufen „ Adda hierher, hier bin ich, hilf mir “, dann schien ihn das Bewusstsein zu verlassen.
Er erwachte erst wieder als er am Ufer lag, eingepackt in dicke Decken wo man angestrengt und intensiv versucht hatte ihn wieder ins Leben zurückzuholen. Benommen schlug er die Augen auf. " Bin ich jetzt im Himmel" stammelte er leise, weil sein Gesichtchen so kalt war dass seine Lippen kaum Worte formen konnten. Da vernahm er schon Mama und Papas Stimme und die seines besten Freundes Ilja, und merkte dass eine warme Zunge immer über sein eiskaltes Gesicht schleckte. " Du dummer Junge, " hörte er nun. "Warum hast du nicht auf uns gehört? Du hast ein Riesenglück gehabt dass Ilja zu Besuch kam um mit dir zu spielen und wir schnell bemerkten dass die alten Schlittschuhe fehlten."
Zudem war Adda sein treuer Hund ihm still gefolgt, da er für den kleinen Schlingel mit einem Kopf voller Streiche immer den Beschützer spielte und gleich nach Haus gerannt war als er sein

junges Herrchen in Gefahr wähnte. Das aufgeregte, ununterbrochene Bellen des treuen Hundes hatte den Ausschlag gegeben, es musste etwas passiert sein.
Schnell wurde er nun in die Klinik gebracht damit er genau untersucht werden und sich erholen konnte. Nach wenigen Tagen in der Klinik durfte der kleine Eisläufer wieder heim, und konnte glücklicherweise das Weihnachtsfest wie gewohnt feiern, und sich auch über die sehnlichst erhofften neuen Schlittschuhe freuen.
Nach dem verhängnisvollen Ereignis wusste er genau dass es wichtig ist sich gegenseitig zu vertrauen, auf sich aufzupassen. Mama und Papa meinen es gut, auch wenn sie mal Verbote aussprechen müssen. Manchmal muss das sein weil sie ihre Kinder lieb haben und vor Schaden bewahren wollen. Das sah er nun ein und beherzigte es von da an sehr genau.
Ach, er hatte doch seine Mama und den Papa so doll lieb, und auch begriffen dass es wichtiger ist als alles andere sich lieb zu haben und daher auch umeinander besorgt zu sein.
Niemals mehr ging er aufs Eis ohne zu fragen und Bescheid zu geben, tollte bald wieder fröhlich mit Adda und Ilja herum, und fühlte eine große dankbare Liebe in seinem kleinen, übermütigen, aber guten Herzen. Sein Kopf steckte immer noch voll lustiger Streiche, aber er machte sich auch mehr Gedanken darüber ob es gut und richtig war

was er plante, oder ob jemand Schaden nehmen könnte. Da er sich gleich so folgsam und vernünftig zeigte und seine Eltern die ehrlichen Bemühungen anerkannten, belohnten sie ihn noch zusätzlich mit einer Dauerkarte vom bekannten Eislaufzentrum der kleinen Stadt. Dort konnte er auch laufen wenn der Weiher nicht fest genug zugefroren war. Der kleine Tausendsassa war glücklich und hatte erkannt dass Sorge auch Liebe ist, und nahm sich fest vor seinen Eltern nie mehr solchen Kummer zu bereiten.

Autor:

Evelyn Gossmann aus Mülheim an der Ruhr

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