Erster Schlagabtausch im Mülheimer Bildungsausschuss
Viel Wirbel um Tablets

Welche Tablet-Marke sollte es sein?
Foto: Archiv Lokalkompass
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Der neu konstituierte Mülheimer Bildungsausschuss erlebte direkt einen heftigen Schlagabtausch. Einige Anträge beschäftigten sich mit dem Themenkomplex Schule und Corona. Besonders im Fokus das Gerangel um die Beschaffung von Leih-Tablets für Kinder aus sozial schwächer gestellten Familien.

Im Vorfeld hatte ein offener Brief des Lehrerpersonalrates der Grundschulen mit harschen Vorwürfen gegen Oberbürgermeister und Bildungsdezernenten Marc Buchholz für Wirbel gesorgt. Sprengstoff war also genügend vorhanden vor einer der ersten Ausschusssitzungen des neuen Stadtrates. Apple oder nicht Apple, das war hier die Frage. Dazu gab es aus erster Hand Einblicke in den Stand der Digitalisierung in unseren Schulen.

„Das ist Mist“

Die Grüne Franziska Krumwiede-Steiner unterrichtet in Essen und gab Ernüchterndes zu Protokoll: „An meiner Schule hat ein Großteil des Kollegiums noch nie an einer Videokonferenz teilgenommen. Nicht alle können digital beschulen. Schon gar nicht, wenn kein Wlan vorhanden ist. Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Wir hätten viel früher ausschreiben müssen. Wenn es im Januar zu Schulschließungen kommt, erreichen wir die Schüler nicht. Das ist Mist.“ Die neu gekürte Vorsitzende Gabriele Hawig (SPD) legte nach: „Ich habe eine Klasse 7. Die können keine Mail schreiben, keine Dateien anhängen. Das glaubt man nicht. Vor allem die Kinder aus bildungsfernen Schichten tun sich schwer.“

Peter Hofmann als Abteilungsleiter des Fachbereiches Schule riss kurz die Chronologie an. In den Sommerferien habe man 400 Apple-iPads bestellt „in der stillen Hoffnung, sie zum Schulauftakt zur Verfügung zu haben.“ Doch der Lieferant konnte nicht liefern. Mehrere Termine wurden nicht gehalten. Nach den Sommerferien habe man daher direkt Gespräche aufgenommen, unter anderem mit der Mediengruppe der Grundschulen, bei den weiterführenden Schulen gebe es solch eine Gruppe nicht und Einzelgespräche wurden fällig. Die Schulen hätten sich da eindeutig für Apple-Geräte ausgesprochen.

Systemoffene Ausschreibung

Dann sei die nächste Katastrophenmeldung gekommen: die bestellten Tablets sein ausverkauft, man könne neuere Modelle beschaffen, die aber frühestens im Dezember. Guter Rat war also teuer. So sei die Überlegung aufgekommen, die Modalitäten neu zu denken. Eine systemoffene Ausschreibung solle schneller zu günstigeren Endgeräten verhelfen. Darüber wurden die Schulformsprecher Ende September informiert. Plötzlich trudelte die Lieferung der 400 Tablets doch in Mülheim ein. Ein Geschäftsgebaren, für das Oberbürgermeister Marc Buchholz nun gar kein Verständnis entwickeln konnte: „Das möchte ich nicht noch einmal erleben.“

Der OB warf noch ein, eine Vorgabe des Landes nenne 500 Euro als Obergrenze für den Kaufpreis inklusive benötigter Programme und des Zubehörs. Die vorhandenen Mittel reichten also aus für höchstens 5.000 Tablets: „Wir haben insgesamt 20.000 Schüler und sind die höchstverschuldete Stadt. Wir reden hier also nur von den bedürftigen Schülern.“ Buchholz nannte konkrete Zahlen: „Im Juni hatten wir von den 6-bis 17-Jährigen 4.823 im Leistungsbezug, die Schulen haben einen Bedarf von 5.379 Geräten gemeldet. Es wurden also auch Kinder knapp über der Grenzschwelle gemeldet. Auch ich hätte gerne jetzt schon die 5.000 Geräte im Betrieb. Das ist uns aber nicht gelungen, das muss ich selbstkritisch sagen. “

So werde es wohl erst im Frühjahr die Geräte geben, womit viele unzufrieden sein. Doch man sei nicht allein in der Not: „Dortmund wartet auf 5.000 Geräte.“ Und Marc Buchholz gab einen Wettbewerbsnachteil an: „Es ist schon ein Unterschied, ob Essen 14.000 Geräte bestellt oder wenn Mülheim daher kommt.“ Der größere Auftrag werde nun mal bevorzugt. Hofmann ergänzte, nach der Meldung der genauen Bedarfe müsse nun die Bestellung der Geräte politisch auf den Weg gebracht werden, eine Vorlage werde für die Ratssitzung am 17. Dezember erarbeitet.

Apple oder nicht?

Mathias Kocks (SPD) ist auch Lehrer und fragte an, warum andere Städte bereits 13.000 Geräte besorgt hätten und Mülheim erst mit Müh und Not 400: „In Duisburg haben alle Lehrer einen Dienst-Laptop und in Mülheim nicht einmal jeder Schulleiter.“ Weitere Fragen täten sich auf. So sein die Geräte nicht versichert. Wer käme da für Schäden auf? Kocks nannte das Ergebnis seiner Nachfragen: „Alle raten zu einheitlicher Nutzung von iPads.“ Das konterte Franziska Krumwiede-Steiner: „Zuhause werden die Geräte ohnehin über eine Website bespielt. Da ist es wichtig, dass die Schüler überhaupt Zugang bekommen.“ Auch so sah das Max Oesterwind von der CDU: „Es gibt die Lern-Apps und die werden über den Internet-Browser erreicht. Da ist das Gehäuse nebensächlich.“ So ganz einfach sei das nicht, warf die Vorsitzende ein: „Apple bietet hervorragende Schulungen an für Lehrer. Die Einfachheit des Zugangs ist für die Lehrer ausschlaggebend.“ Die Schulungen des Landes fänden vorwiegend für Apple statt.

Eva-Annette Klövekorn (MBI) fragte nach, ob Mülheim ähnlich wie zum Beispiel Oberhausen nun zusätzliche Stellen ausschreibe für den technischen Support der Geräte. Das bejahte Buchholz mit einer nicht unwichtigen Einschränkung: „Wir hoffen auf Bundesmittel.“ Mit dem Glasfaser-Ausbau wolle man 2023 fertig werden. Heiko Hendriks mahnte: „Wir sollten bildungspolitisch an einem Strang ziehen, damit sich überhaupt etwas verbessert. Entscheidend ist doch, was das Ding kann. Es ist doch der erste Wurf, Geräte zu bestellen für sozial schwächere Schüler.“ Dann gab Hendricks noch Einblicke in die Mechanismen der Marktwirtschaft: „Wenn man nur einen Anbieter anfragt, diktiert der letztlich den Preis. Wir als CDU haben daher eher Sympathie für eine systemoffene Ausschreibung.“

Lehrer fühlen sich übergangen

Gabriele Hawig ließ eine Stellungnahme von Vertretern der AG Medien der Grundschulen zu. Andrea Schindler als Vorsitzende des Lehrerpersonalrats der Grundschulen betonte: „Wir finden es für uns richtig, dass alle mit iPads ausgestattet werden sollen, auch wenn wir dann länger warten müssen.“ Der OB habe bisher eine Kontaktaufnahme verweigert: „Wir fühlen uns übergangen.“ Eine Stellungnahme von Buchholz habe man nur der Zeitung entnehmen können. „Warum ist es wichtiger, mit der Presse zu sprechen, als mit uns Lehrern?“ Die Auswahl der Geräte lege fest, was später pädagogisch und didaktisch möglich sei: „Es ist schon eine Herausforderung, 27 Sechsjährigen zu erklären, wie digitaler Unterricht funktioniert. Und wenn das auf jedem Gerät anders aussieht, ist das eine Überforderung.“

Der so gescholtene Buchholz antwortete: „Das was wir kennen, möchten wir behalten. Aber uns fehlen die finanziellen Mittel. Müssen wir uns von einem Gerätehersteller abhängig machen? Müssen wir unbedingt den Höchstpreisigen nutzen oder gibt es Alternativen? Folgen wir der Meinung der Mediengruppe?“ Wohl eher nicht, wie Heiko Hendriks präzisierte: „Wir reden über öffentliche Gelder. Wir werden in den Klassen immer ein Sammelsurium verschiedener Geräte haben.“ Seine Fraktion wolle daher erst die Ratsvorlage abwarten und sich einlesen: „Wir alle sollten ohne Schaum vorm Mund in Ruhe drüber nachdenken.“ Das bestätigte die Ausschussvorsitzende: „Wir sind jetzt gut informiert und können uns eine Meinung bilden.“ Ein Votum mochte der Bildungsausschuss nach rund zweistündiger Diskussion also nicht abgeben.

Entzerrter Unterrichtsbeginn

Natürlich ging es auch um andere Auswirkungen der Pandemie für die Schulen. Peter Hofmann referierte. Das Gedränge im Zulieferverkehr sorgt für große Bedenken. Daher habe das Land NRW freigestellt, den Beginn des Unterrichts zwischen 7 und 9 Uhr morgens anzusetzen. Diese Differenzierung sei von Oberbürgermeister Marc Buchholz im Gespräch mit den Vertretern der Schulformen angeregt worden. Die Schulen sollten sich Gedanken machen und ihre Überlegungen direktem Wege drei Ansprechpartnern bei der Ruhrbahn nennen. Ergebnis noch offen. In Mülheimer Schulen werde weiterhin aufs Händewaschen gesetzt, Desinfektionsmittel wolle man da raushalten. Wegen des vorgezogenen Ferienbeginns dürften Eltern mit Bedarf ihre Kinder zur Notbetreuung vor Weihnachten anmelden, der Offene Ganztag betreue an diesem 21. und 22. Dezember ohnehin.

Das Lüften bleibe oberste Maxime. Die Belüftung aller Klassenräume sei laut Immobilienservice gegeben. Doch bei einer Nachfrage des Landes hätten fünf Mülheimer Schulen insgesamt 23 Räume aufgelistet, wo Lüften problematisch sei. Das Land habe Fördermittel für unterstützende Luftfilteranlagen in Aussicht gestellt. Das Mülheimer Gesundheitsamt sage aber, dass trotzdem gelüftet werden müsse. Oberbürgermeister Marc Buchholz ergänzte: „Um das Öffnen der Fenster kommen wir nicht herum. Wenn wir für alle 1.200 Mülheimer Klassenräume Lüfter anschaffen wollen, sind wir wieder bei einer europaweiten Ausschreibung. Und wir haben kein Geld dafür.“ Dagegen könne er sich kühlschrankgroße Lüftungsanlagen vorstellen für Mensen und Sporthallen, auch als langfristige Investition gegen zukünftige Grippe-Epidemien.

Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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