Übergangswohnheim in der Wengestraße sorgt für Ärger

Tatort Wengestraße? Anwohner fühlen sich massiv belästigt. Die Stadt kennt die Zustände, die aus Polizei-Sicht als „nicht so dramatisch“ eingestuft werden. Foto: Torma
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  • Tatort Wengestraße? Anwohner fühlen sich massiv belästigt. Die Stadt kennt die Zustände, die aus Polizei-Sicht als „nicht so dramatisch“ eingestuft werden. Foto: Torma
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Eine Siedlung entsendet einen Hilferuf: „Wir bleiben immer alleine! Wir haben Angst!“ Rund 20 Schonnebecker haben sich versammelt, teilen ihre Sorgen, machen gemeinsam ihrem Ärger Luft. Sie alle sind unmittelbare Nachbarn des Übergangswohnheimes an der Wengestraße.

Als dieses Heim Anfang der Neunziger Jahre errichtet wurde, gab es Proteste. Danach herrschte zwanzig Jahre Ruhe und Frieden. Mit den Jugoslawen und den Irakern habe man keine Probleme gehabt, mit den Afghanen gemeinsame Kulturfeste gefeiert.

Seit zwei Jahren jedoch liegen die Nerven blank. Seitdem sind in dem „Norwegerhaus“ Roma aus Serbien und Mazedonien untergebracht.Für rund 70 Menschen ist der Komplex ausgelegt, in den Schilderungen der Anwohner wird die Wengestraße zum Dreh- und Angelpunkt für Roma „aus ganz NRW“.

Nachbarn notieren die Kennzeichen der anfahrenden Autos. Sie kämen aus Köln, aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis oder dem Bergischen. Transporter lüden Elektrogeräte zur „wilden Verwertung“ sowie säckeweise Kleidung und Teppiche zum Waschen ab. Von nächtlichem Lärm und unzumutbaren Zuständen ist die Rede.

Es fängt bei Lärmbelästigung an und hört bei Diebstählen im eigenen Vorgarten auf. Viele Anwohner des Übergangwohnheimes an der Wengestraße können ihre ganz eigenen Geschichte erzählen. Allen ist aber eines gemein: Sie fühlen sich im Stich gelassen.

Stehen Kindergarten, Seniorenwohnungen und ein Übergangswohnheim nebeneinander. Kein Auftakt für einen Witz, sondern Ausgangslage im Karree Portendieck-, Wenge- und Matthias-Erzberger-Straße. Da ist gegenseitige Rücksicht gefragt. Doch genau die lassen die Roma vermissen, beklagen die Nachbarn. Vor allem in den Abend- und Nachtstunden sowie am Wochenende ginge es hoch bzw. laut her. Bei einem sonntäglichen Besuch des Nord Anzeigers läuft eine Grillparty aus dem Ruder. Rauchschwaden ziehen über den benachbarten Spielplatz hinweg, die Polizei rückt an. „Und so geht es jedes Wochenende“, klagt eine Anwohnerin. Wenn nicht gegrillt werde, gehe es auf dem Hof verdächtig geschäftig zu.

Die Liste der Beschwerden ist lang

„Wenn der Hausmeister freitags um 16 Uhr das Gelände verlässt, rollen die Transporter an. Dann werden mit dem Vorschlaghammer reihenweise Kühlschränke und TV-Geräte ausgeschlachtet. Die Überreste holen die Entsorgungsbetriebe brav am Montag ab“, schildert ein Nachbarn. Der Verdacht: Hier blüht ein Gewerbe.

Es geht noch weiter: „Die kommen bis in unsere Gärten und Hinterhöfe und durchsuchen sie nach Verwertbarem.“ Selbst die schönen Metall-skulpturen, die die Wengestraße säumen, seien nicht sicher. „Die interessiert es nicht mal, wenn man im Garten sitzt.“

Die Liste der Beschwerden ist lang. Was sich ändern soll? „Wir erwarten nur etwas mehr Respekt. Wir müssen uns schließlich auch an unsere Gesetze halten.“
Auf den Hof, um den Bewohner des Übergangswohnheims diesen Wunsch anzutragen, traut sich aber kaum ein Anwohner. Deshalb hoffte das Umfeld auf die Unterstützung von Politik, Stadt und der Polizei. Doch inzwischen fühlt man nur noch Resignation.

Dabei habe der damalige Sozialdezernent Günter Herber zugesichert, die Verwaltung trage Sorge, dass in diesem Heim nur Menschen untergebracht würden, „die nach bisherigen Erfahrungen für die benachbarten Anwohner die geringsten Probleme mit sich bringen.“ Das war aber im Dezember 1990 (siehe Hintergrundinfos rechts). Und das Hintertürchen liefert das Schreiben Herbers gleich mit: „Sofern die Verwaltung [...] die Möglichkeit erhält, den [...] unterzubringenden Personenkreis auszuwählen.“ Derzeit sind es eben Roma aus Mazedonien und Serbien, die in Essen untergebracht werden müssen.
Auch von den Beamten in Blau fühlt man sich zunehmend im Stich gelassen. „Die Polizei macht kaum noch etwas. Die hält uns für notorische Nörgler, wenn sie gerufen wird, dann fährt sie kurz mit dem Streifenwagen durch die Wengestraße. Oder sie kommt zwei Stunden später.“

Polizei: „Zehn Notrufe in 400 Tagen“

Dem widerspricht Polizeisprecher Raymund Sandach vehement. „Wenn wir gerufen werden, dann kommen wir auch, und das in der Regel innerhalb von zehn Minuten.“ Lediglich wenn andere Fälle eine höhere Priorität genießen - dazu gehören Unfälle oder Straftaten - könne es zu Verzögerungen kommen.

Für die Polizei stellt sich die Situation in der Wengestraße „nicht so dramatisch dar“. In den vergangenen 400 Tagen sei sie zehn Notrufen aus dem Bereich nachgegangen. „Dabei handelte es sich um Ruhestörungen, Belästigungen und Streitigkeiten. Außerdem war ein Fehlalarm darunter“, erläutert Sandach.
Erkenntnisse zu illegalem Gewerbe oder Metalldiebstählen lägen der Polizei nicht vor. Der Stadt ebenso wenig, die auf Anfrage aber einräumt: „Tatsächlich lagen nach dem letzten langen Wochenende fünf ausgeschlachtete Kühlschränke auf dem Gelände des Übergangsheimes in der Wengestraße. Diese wurden bereits abgeholt und entsorgt. Ob es sich dabei um Schrott aus illegalen Aktivitäten handelte, ist nicht belegt.“

„Die Schilderungen [der Anwohner] sind der Stadtverwaltung grundsätzlich bekannt“, heißt es in der schriftlichen Erklärung weiter. Untätigkeit will man sich auch hier nicht vorwerfen lassen: „Auf dem Gelände angetroffene Fahrzeuge wurden in der Vergangenheit wiederholt überprüft. Sofern Fahrzeuge auf Bewohner des Heimes zugelassen waren, wurden die Sozialleistungen eingestellt.“
Schließlich wird den Anwohnern angeraten, Ruhestörungen, Hinweise auf illegale Aktivitäten und Diebstähle der Polizei zu melden...

Hintergrundinformationen:
- Der Bau des Übergangwohnheimes stieß in der Nachbarschaft auf Kritik. Schonnebeck zählte zu Beginn der 1990er Jahre elf Standorte (sowohl städtisch als auch privat) für Aus- und Übersiedler, Asylbewerber, Obdachlose sowie „De-facto-Flüchtlinge“.
- Eine Bürgerinitiative wies auf die Unrechtmäßigkeit der Baugenehmigung hin. Sie erwirkte einen zwischenzeitlichen Baustopp. Letztlich wurde das Haus kleiner als geplant, die Baugenehmigung war auf zehn Jahre befristet.
- Im September 2012 wurde das Stadtteilparlament für Katernberg, Schonnebeck und Stoppenberg darüber informiert, dass die bis 2000 befristete Genehmigung nachträglich verlängert wurde. Dies sei „als einfaches Geschäft der laufenden Verwaltung nicht zustimmungsbedürftig.“
- Rudi Vitzthum, Sprecher der CDU-Fraktion im Stadtteilparlament, äußerte bereits damals Bedenken, vermutete er doch eine inzwischen unbefristete Genehmigung. Auf Nord Anzeiger-Anfrage bestätigt die Stadt: „Für das Übergangswohnheim in der Wengestraße liegt eine unbefristete Baugenehmigung vor.“
- Am letzten Mittwoch diskutierte das Stadtteilparlament über die Situation an der Wengestraße - im nicht-öffentlichen Teil. Das Thema gilt „als äußerst heikel“.

Autor:

Patrick Torma aus Essen-Nord

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