Ein Bericht von Rolf Blessing
Die 66. MÜLHEIMER LESEBÜHNE, am 06. März 2020 im Hotel HANDELSHOF...

Veranstalter, Moderator und Lyriker Manfred Wrobel | Foto: Regina Wrobel
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66. Mülheimer Lesebühne

Lesezirkel, Arbeitskreise oder andere Zusammenkünfte, wie sie sich auch nennen mögen, die sich gerne mit dem Lesen von Literatur und dergleichen beschäftigen, sind in letzter Zeit in der Öffentlichkeit gerne mal als Foren menschheitsbeglückender Pädagogen oder VHS-Muttis abqualifiziert worden.
Es hieß zum Beispiel, sie seien nicht system-kritisch genug.

Nun, das mag für andere gelten. Die Lesebühne Mülheim an der Ruhr lässt sich aber nicht in ein Raster stecken. Sie war, ist und bleibt unabhängig, versteckt sich nicht, arbeitet nicht im Verborgenen und ist für jedermann offen.

Und so war auch das Programm der 66. Lesebühne trotz etwas krankheitsbedingt geschwächtem Team, wieder sehr vielfältig. An dieser Stelle die besten Genesungswünsche, vor allem an Christiane Rühmann und Familie Roßkothen.
Die Moderation übernahm also Manfred Wrobel selbst und konnte nach der Begrüßung der Gäste und der anwesenden Pressevertreter schon zu Beginn zum ersten Highlight des Abends überleiten.

Wolfgang Hausmann hörte früher Rezitatoren wie Lutz Görner oder Oliver Steller nur zu. Doch seit vielen Jahren rezitiert der Literaturliebhaber und Zigarrenfreund aus der Heimaterde auf hohem Niveau. Diesmal waren es nicht Werke von Johann Wolfgang von Goethe oder Philip Roth, sondern eine Erzählung von Oliver Meiser. Der noch relativ unbekannte Autor Oliver Meiser studierte Geographie in Tübingen und Rio de Janeiro, ist heute als Reiseleiter tätig und schrieb mit der Erzählung „Die Zitronenfische“ eine gut in die heutige Zeit passende „Unterwassergeschichte“ über das Problem der Migration. Die darin enthaltenen Botschaften für die Menschen wurden von Hausmann überzeugend, eindringlich und lebendig vermittelt.

Der Titel „Versteinerte Buckelwale – Freyas Geschichte“, geschrieben von Gabriele Schneider aus dem Kraichgau, hört sich im ersten Moment eher nach einem Buch über Meeresgetier an. Tatsächlich ist es aber ein in der „Ich-Form“ geschriebener Krimi, wo Blut spritzt, eine Formation wie Derrick und Harry Klein eine Rolle spielt, und sich eine Problembeziehung als Schlüssel für die „Tat“ erweisen könnte. Ob und wie der Fall gelöst werden kann, verriet die Autorin nicht.

Die musikalische Untermalung des Abends übernahm Enis Okumusoglu, ein Künstler aus Köln. Seine schwebende, raumlos erscheinende Musik erklingt wie eine Zusammensetzung (er selber nennt es „Verweben“) aus vielen einzelnen Komponenten (E-Gitarre, Rhythmusgerät, Wind- und Mundorgelgeräusche aus seiner Didgeridoo). Als One-Man-Band mutet er ein wenig an, wie ein moderner „Tambourin man“ und versteht es, die Zuhörer zu fesseln.

In dem Buch „Schnee am Strand“ - einen Auszug daraus trug Rohan de Rijk vor - handelt es sich bei dem Schnee ganz offensichtlich um eine weiße, pulverige Substanz. Die Protagonisten Ashley und Damian nehmen davon so manche Portion zu sich, um ihrem Traum, auf eine große Abenteuer-Weltreise zu gehen, näher zu kommen. Dass sie dabei einiges erleben und so manches Gesetz übertreten, macht die Geschichte lustig, aber auch spannend.

Wozu würden Sie als Frau tendieren? Zu einem gewalttätigen, brutalen, dummen Riesen oder einem geheimnisvollen Unbekannten, der sich offenbar für die gleichen kulturellen Dinge interessiert, wie sie selbst. Dieser Problematik widmete sich Dagmar Schenda, eine bekannte Mülheimer Autorin, bei ihrer auszugsweisen Lesung. Ob die schwer in Bedrängnis Geratene noch rechtzeitig gerettet wird, lies sie allerdings offen.

Gemeinsam ein Buch zu schreiben und daraus abwechselnd vorzutragen, das sind Dinge, die in der Lesebühne selten vorkommen. Lisi Schuur und Eike M. Falk haben sich diesem schwierigen Unterfangen gestellt und den Zuhörern Einlass in ihre Welt gewährt. Eine märchenhafte Welt, die sich um Fliegenpilze mit schwarzen und weißen Tupfen dreht, einen Maler versuchen lässt, das Blau des Himmels über dem Moor zu treffen oder einen roten Mond in Angriff zu nehmen, wo eine Geisterstunde hereinbricht und vieles mehr.

Der sehr dialogbehaftete Krimi von Karin Büchel teilt sich in zwei Bereiche: einer spielt heute und beschäftigt sich mit der Aufklärung und Nachforschung nach einem menschlichen Knochenfund, also quasi mit Polizeiarbeit, der andere mit dem Geschehen der Tat vor 27 Jahren. Die Autorin schilderte sehr präzise und bedrückend, wie es ist oder sich anfühlt, wenn eine junge Frau in Dunkeln an einer einsamen Haltestelle auf einen Bus wartet, der erst in ca. 30 Minuten kommt und dann tatsächlich ein Opfer wird.

Rolf Blessing

Der Mülheimer Autor Rolf Blessing trug zunächst „Die offene Hintertür“,
eine kleine Geschichte über das Leben in einer Zechenkolonie vor.
Darüber hinaus las er drei Gedichte aus seinem Gedichtband
„War ich bisher ein Drachentöter“.
- Puderzuckerwetter
- Ich singe nicht (Je ne chante pas)
- Lebenstraum

Mit diesem Gedicht erzielte der Lyriker einen Preis 2019 in Berlin
anlässlich der Verleihung des Ulrich- Grasnick- Preises:

Lebenstraum

Nachmittagsgewitter im Kopf
der fette Lebenstraum
knallt auf den Wertetisch
enorme Lastenwucht
spaltet das Holz
überflüssige Masse sinkt zu Boden
landet in purpurner Farbe
erhebt sich
als Flötenmelodie
erreicht den Glasperlenvorhang
der den Weg versperrt
wird zum nachdenklichen Nebel
der nach Erde duftet
entflieht schwerelos
lastenbefreit als Schmetterling
in welken Laubfarben
entgeht dem Hieb
des goldenen Schnabels
lacht über sich selbst
endet als spöttische Rose
im Garten Eden
© Rolf Blessing

Manfred Wrobel

Zum Schluss hatte Enis Okumusoglu, der den musikalischen Ausklang der 66. Lesebühne übernommen hatte, Mühe, gegen die lebhaften Diskussionen, Gespräche und Meinungsaustausche, die unter den Zuhörern eingesetzt hatten, akustisch anzukommen. Er nahm es mit Humor und setzte sich mit seiner wunderbaren Musik durch!
Rolf Blessing

Autor:

Manfred Wrobel aus Mülheim an der Ruhr

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