Lebensqualität, Wohnen, Arbeiten und Wirtschaft
Rückstand der Ruhrstadtkommunen wird immer größer

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Die 15 Städte der Ruhrstadt rutschen im Kommunalranking immer weiter ab. Alle Städte liegen im Ranking im letzten Sechstel. Zwar entwickeln sich auch in den Städten des Ruhrgebiets Dinge positiv, doch die Entwicklungen verlaufen zu langsam. So wird der Entwicklungsrückstand zu anderen Großstädten und Metropolen Deutschlands und Europas immer größer.

Immer wieder verkünden die 15 Kommunen der Ruhrstadt, dass sie sich jetzt positiv in Richtung Zukunft entwickeln und den Strukturwandel endlich schaffen werden. Schaut man sich jedoch die nackten Zahlen an, sind die Bemühungen wenig erfolgreich. Im Kommunalranking NRW 2023, das die Stadtentwicklung aller 396 NRW-Kommunen in den Bereichen Lebensqualität, Wohnen, Arbeiten und Wirtschaft bewertet, fallen die Kommunen der Ruhrstadt weiter ab. Im Schnitt um über 12 Plätze seit 2020. Von den letzten zehn Plätzen werden fünf von Ruhrstadt-Kommunen belegt. Keine Stadt liegt besser als Platz 335 (Essen). Alle 15 Städte liegen im letzten Sechstel der Städte und Gemeinden NRWs.

Kommunalranking NRW 2023

Rückstand wird größer

Die Kommunen der Ruhrstadt finden den Anschluss an die Stadtentwicklung deutscher und europäischer Städte und Gemeinden nicht. Sie holen nicht auf, der Rückstand wird größer. Zwar gibt es positive Entwicklungen zu verzeichnen, doch es sind zu wenige und sie vollziehen sich zu langsam. Die Entwicklungsgeschwindigkeit in den Städte außerhalb des Ruhrgebiets ist höher,  positive Entwicklungen zeigen sich in größerer Breite.

Die Entwicklung wirft die Frage auf, warum es den Kommunen des Ruhrgebiets nicht gelingt, den Rückstand aufzuholen. Verantwortlich für die Entwicklung des Ruhrgebiets ist die Politik. Offensichtlich ist diese nicht so erfolgreich, wie dies nötig wäre. Sie scheint den Herausforderungen des Strukturwandels nicht gewachsen zu sein. Die Ursachen dafür liegen in der Historie des Ruhrgebiets begründet. Das mit der Industrialisierung gewachsene Politikverständnis ist nicht mehr zeitgemäß. Mit ihm lässt sich der Strukturwandel nicht bewältigen.

Industrie bestimmt und verhindert Stadtentwicklung

Traditionell bestimmten die Industrieunternehmen im Ruhrgebiet die Struktur- und Stadtentwicklung der Region, also bis Ende der 50er Jahre die Montanindustrie. Anders als Stadtentwicklung in Städten sonst, sahen es Stadtgesellschaft und Politik nicht als ihre Aufgabe Stadtstrukturen für die Zukunft zu entwickeln. So gab das Stahlunternehmen vor, wo das neue Stahlwerk in der Stadt errichtet werden, die Bahnlinie hingebaut und die Wohnsiedlung für die Beschäftigten entstehen sollte. Darüber hinaus wurde nicht das Ziel verfolgt, Stadtstrukturen zum Nutzen der Stadtbewohner*innen zu entwickeln, der Nutzen für die Industrie war für alle Entscheidungen das ausschlaggebende Kriterium.

So verhinderte die Montanindustrie auch wichtige städtebauliche Projekte, wie die elektrische Rheinisch-Westfälischen Städtebahn, die von Köln bis nach Dortmund verlaufen und alle wichtigen Städte des Ruhrgebiets verbinden sollte (Kohle bremste Ruhr-Schnellbahn aus). Der Plan wurde schon 1922 entwickelt und hätte das Rückgrat eines modernen Nahverkehrsnetz des Ruhrgebiets sein können, das es bis heute nicht gibt. Die Kohleindustrie wehrte sich gegen das Projekt Elektroloks verbrauchten Strom statt Kohle, man schob vor, die Bahn würde Bergschäden verursachen und damit dem Kohleabbau schaden. Der Widerstand war erfolgreich, das Projekt wurde eingestampft, Zukunft verhindert. Danach dauerte es noch bis 1957, bis die erste Bahnstrecke im Ruhrgebiet elektrifiziert wurde. Da verfügten andere Großstädte und Metropolen Deutschlands und Europas schon über ein elektrisch betriebenes Schnellbahnnetz.

Wichtige Entwicklungen, wie der Aufbau eines leistungsfähigen Nahverkehrsnetzes, fanden im Ruhrgebiet bis heute nicht statt. Sie waren nicht im Sinne der Industrie, also wurden sie nicht vorangetrieben. Die Städte selbst verfolgten keine eigenständige Stadtentwicklungsziele.

Patriarchalisches Politikverständnis

Das änderte sich bis Ende der 50er Jahre nicht. Das Selbstverständnis der Politik war patriarchalisch, man verstand sich als zuständig, die Bevölkerung umfassend mit Wohnraum, Gesundheitseinrichtungen oder Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten zu versorgen (Politischer Strukturwandel?). Die Industrie versorgte die Menschen mit Arbeit, teilweise mit Wohnraum, die Politik stellte die sonstige Versorgung sicher und stritt mit den Unternehmen über höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Sonst sah man sich in Sachen Stadtentwicklung weiterhin als Erfüllungsgehilfe der Industrieinteressen. Die Abhängigkeit der Menschen von Arbeitgeber und Vermieter sowie der Politik als Versorger, war bewusst gewollt und sicherte der Politik die Wählerstimmen. Eine Beteiligung der Stadtgesellschaft an politischen Entscheidungen und eine Stadtentwicklung im Sinne der Menschen, waren keine politischen Ziele.

Erhaltung überkommener Strukturen statt Investitionen in die Zukunft

Bergbau- und Stahlkrise verfestigen die politischen Strukturen. Als schon 1957, nur 8 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik, jede zweite Zeche keine Gewinne mehr erwirtschaftete (Teure Steinkohle - Der Kampf um Subventionen), war die Montanindustrie an einer künstlichen Erhaltung ihrer Unternehmen mittels massiver staatlicher Subventionen interessiert. Das gleiche Ziel verfolgten die Beschäftigten. Also tat man zunächst alles, um den Strukturwandel zu verhindern. Schließlich kam man doch zu der Einsicht, dass der Niedergang von Kohle und Stahl sich nicht aufhalten ließ. Von da an war das Ziel, diesen so sozialverträglich wie möglich zu gestalten. Bund und Land wandten zu diesem Zweck 200 bis 300 Mrd. Euro Subventionen auf (Teure Steinkohle - Der Kampf um Subventionen), die für die Schaffung zukunftsweisender Ruhrgebietsstrukturen fehlten.

Die Politik sah sich vornehmlich auf die Verwaltung des und dem Schutz vor dem Strukturwandel verpflichtet (Politischer Strukturwandel?). Im Ergebnis gelang es der Politik zwar, die überkommenen Strukturen so lange wie irgend möglich zu erhalten, der Preis aber war hoch. Zum Ende der Dominanz der Industrie war das Ruhrgebiet in keiner Weise auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet und eingestellt. Es wurde versäumt zukunftsfähige Stadtstrukturen aufzubauen, diese sind bis heute nur unzureichend vorhanden.

Die Bildungsblockade und ihre Folgen.

Ein weiteres Problemfeld im Ruhrgebiet sind die Folgen der sogenannten “Bildungsblockade”, die bis 1964 andauert. Bis zu diesem Jahr duldete man im Ruhrgebiet keine Hochschulen. Man befürchtete, dass eventuelle Verbindungen zwischen Arbeitern, Armee und geistigen Eliten nicht mehr kontrollierbar seien. Zudem wurde der große Bedarf an Arbeitskräften lange über Arbeitskräfte aus den deutschen Ostgebieten und Polen gedeckt, die weder lesen noch schreiben konnten (Bildungsblockade - Regionalkunde Ruhrgebiet). Man fürchtete, durch bessere Bildung würden auch die Forderungen nach höheren Löhnen zunehmen und sich dadurch die Arbeit verteuern.

Mit Gründung der Ruhr-Universität in Bochum endete zwar die Bildungsblockade im Hochschulbereich, im Ruhrgebiet wurde sehr erfolgreich eine breite Hochschullandschaft geschaffen, weiterhin aber blieb die Schulpolitik ein Stiefkind der Politik. Sozialer Aufstieg durch Bildung, bedeutete die Auflösung des traditionellen Arbeitermilieus, auf das sich die Ruhrgebietspolitik stützte. Daran bestand in der Politik kein Interesse.

Bei heute wurde das Ruhrgebiet mangels ausreichender Bildungsbemühungen zum Armenhaus der Republik (Deutschlands Armenhaus ist das Ruhrgebiet). Hätte man als Reaktion auf diese Entwicklung eine bespiellose Bildungsoffensive der Politik erwartet, sah man sich getäuscht. Die Politik im Ruhrgebiet sieht sich auch heute in der Rolle des Verwalters und Versorgers der Benachteiligten und Armen. Entsprechend wird sich auf diese Aufgaben konzentriert, während die Bekämpfung der Ursachen von Armut nebensächlich behandelt wird (Armut in abgehängten Stadtteilen nimmt bedenklich zu).

Noch immer fehlt eine zielgerichtete Stadt- und Strukturentwicklung

Eine gezielte Stadt- und Strukturentwicklung wird im Ruhrgebiet bis heute nicht verfolgt, denn das Politikverständnis im Ruhrgebiet hat sich über die Jahrzehnte kaum verändert. Immer noch sieht man es nicht als primäre politische Aufgabe an, die Stadt zu gestalten und zukunftsfähige Stadtstrukturen zu schaffen, die eine positive Entwicklung der Städte ermöglichen. Was man früher die Industrieunternehmen hat machen lassen, überlässt man heute den städtischen Verwaltungen. Die Politik sieht sich weiterhin nur in der Rolle, all das abzunicken, was vorgeschlagen wird. Immer noch sieht man die Politik in der Versorgerrolle. Wenn der Sportverein nach einen Kunstrasenplatz ruft, die Sozialeinrichtung um mehr Mittel bittet oder der Kleingartenverein mehr Parkplätze benötigt, dann sorgt man dafür. Wenn es jedoch darum geht, wie ein zukünftiges Nahverkehrsnetz des Ruhrgebiets aussehen sollte, eine zukunftsweisende Tourismusstrategie oder ein einheitliches Ruhrgebietskonzept zur Ansiedlung von Wirtschaftsunternehmen, dann hat die Politik dazu keine Idee.

Konsumentenhaltung der Stadtbewohner*innen

Von den Stadtbewohner*innen wird im Gegenzug erwartet, dass sie sich mit den Versorgungsleistungen der Politik zufriedengeben und sich nicht weiter in die Politik einmischen. Dieses über Jahrzehnte eingeübte Politikverständnis führt bei den Wähler*innen zu einer Art Konsumentenhatung ggü. der Politik. Man wählt jemanden und erwartet, dass der dann die Vollversorgung übernimmt, ohne dass man sich selbst weiter bemühen muss. Sich selbst um Dinge zu kümmern, sich einzumischen, mitzubestimmen und als Teil der Stadtgesellschaft Einfluss auf die Entwicklung der Stadt zu nehmen, ist im Ruhrgebiet unüblich, wird nicht erwartet und als nicht erforderlich empfunden.

Eine gezielte, langfristig angelegt Struktur- und Stadtentwicklungspolitik wird in den Kommunen der Ruhrstadt nach wie vor nicht verfolgt. Man nimmt die von Land und Bund angebotenen Förderprogramme mit, entwickelt Flächen, schreibt viele Konzepte und Strategiepapiere, die selten wirklich umgesetzt werden, ein konkretes Zielbild, wo die Ruhrstadt bis 2050 hin und wie sie bis dahin aussehen will, fehlt aber.

Dies führt zu einem weiteren problematischen Aspekt des im Ruhrgebiet verbreiteten Politikverständnisses. Man ist nicht bereit von anderen Städten zu lernen und erfolgreiche Konzepte von dort zu übernehmen. Die Sicht von außen auf die Städte und der Blick nach außen auf andere Städte und der Vergleich mit diesen wird in der Politik immer wieder abgelehnt. Wichtig ist und bleibt, dass alle in der Stadt von der Politik gut versorgt werden.

Würde man sich mit anderen Städten vergleichen und sich an diesen orientieren, wäre das automatisch mit einer grundlegend anderen Ausrichtung der Politik verbunden. Die Politik müsste gestalten und sich für die Stadtentwicklung verantwortlich zeigen. Sie müsste erklären, warum andere Städte sich besser entwickeln, sie müsste rechtfertigen, warum sie nicht Dinge so wie erfolgreiche Städte macht Das kennt Ruhrgebietspolitik nicht und will sie auch nicht. Im Ruhrgebiet sind an der Misere immer nicht vorhersehbare externe Entwicklungen oder andere politische Akteure schuld. Jede eigene Verantwortung für negative Stadtentwicklungen weist man weit von sich.

Ursache, dass die Kommunen des Ruhrgebiets immer weiter den Anschluss verlieren, ist also das traditionelle Desinteresse der Politik an Struktur- und Stadtentwicklung und das damit verbundene Politikverständnis, dass Politik weiterhin nicht als Gestalter der Stadtentwicklung, sondern als Versorger der Stadtbewohner*innen sieht.

Das Ruhrstadt-Dilemma

Das zeigt sich besonders augenfällig daran, dass es bis heute keine Ruhrstadt gibt. Obwohl unter allen Fachleuten, die sich wissenschaftlich wie beruflich mit Stadtentwicklung beschäftigen Einigkeit besteht, dass für eine erfolgreiche Entwicklung der Städte im Ruhrgebiet die Bildung der Ruhrstadt, ein, wenn nicht der entscheidende Faktor für positive Entwicklungen ist. Und obwohl es auch in der Politik in dieser Hinsicht angeblich nur eine Meinung gibt und jede/r Politiker*in des Ruhrgebiets immer wieder betont, dass man doch eigentlich die Ruhrstadt bräuchte, unternimmt die Politik im Ruhrgebiet keine ernsthaften Anstrengungen, die Ruhrstadt Wirklichkeit werden zu lassen. In Wahrheit ist man auch an diesem Thema desinteressiert bzw. doch nicht bereit Macht, Pfründe und Kirchturmdenken aufzugeben.

Niemand würde die 15 Ober- und Bürgermeister und Stadträte der Kommunen der Ruhrstadt abhalten, sich zusammenzusetzen und gemeinsam von der Landesregierung die Herstellung der Ruhrstadt zu fordern sowie alle Voraussetzungen für die Gründung zu schaffen (Anderer Vorschlag: Vom Ruhrgebiet zur Ruhrstadt – eine neuer Lösungsvorschlag). Einer solchen Initiative hätte die Landesregierung wenig entgegenzusetzen.

Hätte Stadt- und Strukturentwicklung in der Politik des Ruhrgebietsstädte wirklich den Stellenwert, der für eine positive Entwicklung der Kommunen der Ruhrstadt erforderlich wäre, gäbe es die Ruhrstadt lange schon. Dass es sie nicht gibt, bedeutet, die Politik ist nicht fähig bzw. willens das zu tun, was nötig ist, es fehlt das dafür erforderliche Politikverständnis.

Die STADTGESTALTER

Autor:

Dr. Volker Steude aus Bochum

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