Pro und Kontra zur Kameraüberwachung in Dortmund
Münsterstraße wird überwacht

Der Videobeobachtungsplatz in der Leitstelle der Polizei, wohin die Bilder der Kameras in der Münsterstraße übertragen werden.  | Foto: Polizei Dortmund
  • Der Videobeobachtungsplatz in der Leitstelle der Polizei, wohin die Bilder der Kameras in der Münsterstraße übertragen werden.
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Für mehr Sicherheit im Münsterstraßenviertel setzt die Polizei noch in diesem Jahr an acht Standorten insgesamt 18 Kameras ein. Die Initiative gegen die Videoüberwachung kritisiert, dass Fakten geschaffen werden, während aktuell noch eine Klage gegen die Rechtmäßigkeit der Überwachung läuft.

Die Initiative hält die Überwachung für einen nicht verhältnismäßigen Grundrechtseingriff und weist darauf hin, dass dies vor allem nicht dazu beitragen könne, die Probleme der Nordstadt zu lösen.
Das sieht man im Polizeipräsidium anders: "Die Videobeobachtung in einem Teilbereich der Münsterstraße allein wird uns nicht zum Ziel führen. Weniger Straftaten erreichen wir nur in Kombination mit einem effektiven Einsatzkonzept. Mit der neuen Technik können wir Straftaten schon im Anfangsstadium erkennen und sofort einschreiten", begründete Polizeipräsident Gregor Lange den 2018 angekündigten Einsatz der Videobeobachtung.

Rückgang der Straftaten- aber Drogenkriminalität nahm zu

In der Nordstadt ist die Zahl der Straftaten zwischen 2014 und 2019 um fast 39 Prozent gesunken. Auch im Münsterstraßenviertel gehen die Zahlen insgesamt zurück. Mit Ausnahmen: Bei der Rauschgiftkriminalität (770 Fälle im Jahr 2020) sind die Zahlen im Vergleich zum Vorjahr (611) angestiegen - was auch am hohen Kontrolldruck der Polizei in der Nordstadt liege.
Für die Polizei sind die fast 300 Meter Münsterstraße 50 bis 99, die sie beobachten will, ein Kriminalitätsschwerpunkt, den sie auflösen will. Auch Familien wohnen in dem Wohn- und Geschäftsbereich. Hier zählte die Polizei 464 Straftaten 2019 und 2020 bis September 355. "Von diesen hohen Zahlen auf einem kurzen Straßenstück müssen wir runter. Die Videobeobachtung ist ein Instrument, das uns dabei helfen wird", sagte der Polizeipräsident.

Positiven Wandel absichern

Die Nordstadt erlebt in vielen wichtigen Bereichen einen positiven Wandel. Politik, Stadtplaner, Kulturschaffende, Industrie, Gewerbe und zahlreiche private Initiativen haben große Fortschritte erzielt. Gregor Lange: "Sicherheit ist ein wichtiger Standortfaktor. Es ist der Auftrag der Polizei, die bereits erreichten Erfolge an der Seite von S taatsanwaltschaft, Stadtverwaltung und Zoll nicht nur abzusichern, sondern dabei zu helfen, sie auch auszubauen."

Für die Videobeobachtung in der Münsterstraße richtete das Polizeipräsidium in der Leitstelle einen neuen Technikraum mit vier modernen Arbeitsplätzen ein. "Wir können eine Straftat bereits erkennen, wenn sie sich anbahnt. Die Kameras ermöglichen Personenbeschreibungen, wir erkennen Fluchtwege. So gewinnen wir wertvolle Zeit", erklärte der Leiter der Direktion Gefahrenabwehr/ Einsatz, der Leitende Polizeidirektor Udo Tönjann, einen wichtigen taktischen Vorteil, der zügig zu Festnahmen führen soll. Im Einsatz sind die Kameras von Montag bis Samstag zwischen 16 Uhr und Mitternacht. Diese Zeiträume ergeben sich aus dem überwiegenden Teil bisheriger Tatzeiten.

Voraussetzung für Videobeobachtung

Gesetzliche Grundlage für die Videobeobachtung ist Paragraph 15a des NRW-Polizeigesetzes. Das Gesetz gibt die Rahmenbedingungen vor: An Kriminalitätsbrennpunkten, an denen die Beschaffenheit des Ortes die Begehung von Straftaten begünstigt, kann die Videobeobachtung durchgeführt werden. Es müssen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass an dem Ort weitere Straftaten wie Raub oder Rauschgiftkriminalität begangen werden.

Wichtig: Die Polizei muss "unverzüglich" einschreiten können. Udo Tönjann: "Wir sind schnell. Unsere ohnehin schon hohe Präsenz in der Nordstadt verbinden wir jetzt mit den Möglichkeiten der Videobeobachtung. Dabei gehen wir auch gegen mögliche Verdrängungseffekte vor."

Für den Leiter der Polizeiwache an der Münsterstraße, den Ersten Polizeihauptkommissar Detlef Rath, steht fest: "Wir arbeiten täglich an dem Ziel, die Straftaten in unserem Bezirk zu senken. Jetzt haben wir ein Instrument mehr. Die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger sind eindeutig: Sie wollen sicher leben. Drogenhandel, Raubüberfälle und andere Straftaten schaden dem  Münsterstraßenviertel. Sie konterkarieren die vielen Bemühungen der zivilgesellschaftlichen Initiativen, der Einzelhändler und der Hauseigentümer, die permanent daran arbeiten, die Lebensqualität in dem Quartier zu verbessern."

Datenschutz wichtig

Die Installationsarbeiten für die Kameras haben in der 43. Kalenderwoche begonnen, so dass voraussichtlich Anfang November 2020 ein Probebetrieb starten kann. Der Realbetrieb wird dann voraussichtlich Anfang Dezember 2020 beginnen. Einen hohen Stellenwert hat der Datenschutz. Die Polizei speichert die aufgezeichneten Bilder maximal 14 Tage. Einzelne Sequenzen auch länger, wenn sie für ein Ermittlungsverfahren relevant sind. Auf der Leitstelle ist nur eine Auswahl von Polizeikräften autorisiert, Daten zu sichern.

Bei Demonstrationen verwendet die Polizei die Videotechnik nicht. Blenden ("Shutter") decken dann die Linsen erkennbar ab. Anwohner des betroffenen Bereichs informiert die Polizei am Mittwoch
(21.10.2020) mit einem Rundschreiben über die Installationsarbeiten. Ende der 44. Kalenderwoche installiert die Polizei die Schilder, die auf die Videobeobachtung hinweisen. Darauf steht auch, dass die Kameras bei Versammlungen keine Bilder aufnehmen.

ERKLÄRUNG DER INITIATIVE GEGEN KAMERAÜBERWACHUNG DER MÜNSTERSTRASSE vom 21.10.2020

In einer Pressekonferenz will die Polizei Dortmund heute über den Start der Installation der Videoüberwachung in der Münsterstraße informieren.

Stand der Klage

Im Namen der Initiative war im Juli Klage beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eingereicht worden, um die Videoüberwachung, die euphemistisch gern "Beobachtung" genannt wird, dieser für die Dortmunder Nordstadt zentralen Straße zu verhindern. Nachdem die Polizei erst nach wochenlanger Verzögerung im September überhaupt Akteneinsicht gewährt hat, wird in dieser Woche die Klagebegründung eingereicht, auf Basis derer über die Zulässigkeit der Überwachung entscheiden wird.
"Dass die Maßnahme nun einfach durchgesetzt werden soll, ist eine Unverschämtheit. Wir sind uns sicher, dass ein Gericht unserer Klage stattgeben wird und die Unverhältnismäßigkeit der Überwachung anerkennen wird. Schließlich handelt es sich um einen erhebliche Grundrechtseingriff, wenn in Zukunft BewohnerInnen und BesucherInnen dauerhaft überwacht werden soll, wenn gleichzeitig nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Überwachung irgendwem nützt. Der
Polizeipräsident hat selbst in der Vergangenheit eine Überwachung der Münsterstraße für nicht zielführend erklärt hat", sagt Arthur Winkelbach, Sprecher der Initiative. "Und wir fragen uns: Hat die Polizei soviel Angst zu verlieren, dass sie jetzt so schnell wie möglich vollendete Tatsachen schafft?"

Videoüberwachung unwirksam

Die Initiative gegen Videoüberwachung hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass eine Videoüberwachung der Münsterstraße nicht verhältnismäßig ist vor allem nicht dazu beitragen kann, die Probleme der Nordstadt zu lösen. Noch 2016 hatte der Polizeipräsident selbst eine solche Überwachung abgelehnt, da zu erwarten sei, dass sich die Kriminalität nur an andere Orte verlagert. Das hat sich ja nicht plötzlich geändert. Lediglich die Rechtslage ist eine andere, weil sie jetzt auch erlaubt, Straftaten zu bekämpfen, die vielleicht, irgendwann in der Zukunft einmal stattfinden könnten.

Zudem hat die Evaluation der Überwachung der Brückstraße durch das Kriminologische Institut Niedersachsen gezeigt, dass der Rückgang der Kriminalität im überwachten Bereich nicht auf Kameras zurückzuführen ist. Die Kriminalitätszahlen in ganz Dortmund und der Nordstadt negativ,
wofür sich die Polizei Dortmund ja auch regelmäßig selbst lobt, einen stärkeren Rückgang in überwachten Bereichen gibt es nicht. Auch für die Rechtfertigung der Überwachung optimierte Statistiken können darüber nicht hinwegtäuschen.

Eine Überwachung der Münsterstraße greift tief in die Persönlichkeitsrechte derjenigen ein, die dort wohnen oder sich regelmäßig aufhalten. Videoüberwachung löst keine sozialen Probleme und
Studien haben immer wieder gezeigt, dass auch der erwartete Gewinn an subjektivem "Sicherheitsgefühl" höchstens temporär ist und durch die Verdrängung gleichzeitig auf Kosten der NachbarInnen geht.

Stigmatisierung der Nordstadt

Die Argumentation der Polizei folgt bekannten Mustern. Unter anderem wird der nördliche Teil der Münsterstraße als strukturell problematischer dargestellt, weil sich dort, im Gegensatz zum südlichen Teil, Call-Shops und Shisha Bars befänden - wie auch an dutzenden anderen Orten in der Nordstadt. Diese Stigmatisierung von vorwiegend migrantisch benutzen Orten entspricht auch der Argumentation der Schwerpunkteinsätze gegen sogenannte "Clankriminalität", die seit Jahren
in der Nordstadt und NRW stattfinden und bisher vor allem kleinere Verstöße aufgedeckt haben. Wie zuletzt der Eklat um eine Broschüre der Polizei in Essen zum Umgang mit sogenannten "Clans" gezeigt hat, beruht die Vorverurteilung dieser Orte als "diffus kriminell" auf rassistischen
Mustern. Es sind dieselben Muster, die auch Rechtsradikale gerne aufgreifen und z.B. auch beim Attentat in Hanau Teil des Tatmotivs waren.

Erschreckenderweise wird diese polizeikritische Perspektive von der Polizei selbst auch wieder als ein Argument für Überwachung betrachtet. In der Begründung für die Videoüberwachung wird unter anderem auch der in der Münsterstraße ansässige Nordpol thematisiert:

"Als problematisch hat sich das Cafe Nordpol (Hausnummer 99)  erwiesen. Die Besucher sind nicht nur generell aufgrund ihrer ideologischen Prägung ablehnend gegenüber der Polizei, sondern stören
zum Teil aktiv die in diesem Bereich durchgeführten Kontrollen der dort agierenden Drogendealer sowie strafverfolgende Maßnahmen gegen diese Klientel.“ (Aus der Akte zur Begründung der Überwachung der Polizei vom 28.08.2020)

Ohne jeglichen Nachweis tatsächlicher Straftaten wird hier ein demokratisches Projekt, in dem seit Jahren Projekte für und mit der Nordstadt stattfinden, kriminalisiert. Das wöchentliches Sprachcafé, der Umsonstladen, politische Veranstaltungen sowie Veranstaltungen mit Jugendlichen sollen überwacht werden, weil sich einige der BesucherInnen die häufig auf Racial Profiling basierenden Kontrollen auf der Münsterstraße nicht kommentarlos hinnehmen. Dass die Polizei nicht willkürlich agieren kann ist kein Grund missliebige Meinungen zu überwachen, der Wunsch danach ist eine bedenkliche Tendenz.

Über die Initiative

Bereits im Frühjahr 2020 organisierte die Nachbarschaftsinitative gegen Videoüberwachung Flugblattverteilaktionen gegen die ausufernde Kameraüberwachung in Dortmund, einen Stadtteilspaziergang über die Münsterstraße sowie diverse Nachbarschaftsmeetings. Aktuell beschreitet die Initiative als einen ihrer nächsten Schritte auch den juristischen Weg, gegen die Überwachung ihrer zentralen Einkaufsstraße.

  • Bei Fragen oder Anregungen ist die Nachbarschaftsinitiative gegen Videoüberwachung unter der folgenden E-Mail- Adresse zu erreichen: kameras-stoppen-dortmund ät riseup.net
  • Webseite (mit PM):nocamdo.org
  • Twitter: https://twitter.com/NoCam_Do
Autor:

M Hengesbach aus Dortmund-City

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