Kino: Der Junge muss an die frische Luft
Danke, dass Sie uns auch an den dunklen Momenten Ihrer Biografie teilhaben lassen, Hape Kerkeling!

Einer von Deutschlands bekanntesten Comedians hat im Jahr 2014 seine Biografie herausgebracht und diese wurde nun auch verfilmt. Nichts wirklich besonderes, möchte man meinen, denn das machen ja viele. Doch, ganz besonders, meine ich, denn Hape Kerkeling scheut sich nicht, seine Leser bzw. Zuschauer auch zu den dunklen Momenten, dem Trauma seiner Kindheit, mitzunehmen. Das finde ich in der heutigen Zeit besonders wertvoll und wichtig. Wo viele Menschen nur noch auf den äußeren Schein fixiert sind, auf eine möglichst positive und makellose Selbstdarstellung. Doch mal ehrlich, wo Licht ist, ist auch Schatten. Und dunkle Momente gehören zu jedem Leben dazu.

Für alle, die ihre Kindheit in den Siebzigern verbracht haben, ist der Beginn des Films ein tolles Deja-Vu. Wir werden ins Recklinghausen vor über 40 Jahren entführt, wo die Kinder über die Straßen tollten, man sich am Büdchen traf, die Nachbarinnen zum Tratsch aus den Fenstern hingen und das Geschehen auf der Straße kommentierten. Regisseurin Caroline Link fährt eine Menge Originale in Kittelschürzen auf und in der großen Familie des kleinen Hannilein ist jede Menge los. Zahlreiche Tanten, Omas und Opas freuen sich des Lebens und haben Spaß, zusammen zu feiern.

Seine leicht dickliche Figur macht Hans-Peter von klein auf durch seinen Humor mehr als wett. Ein Schlüsselerlebnis war bestimmt der erste Ritt auf dem von seiner Oma geschenkten Gaul, äh Pferd. Mühsam auf den Vierbeiner gehievt stellt er ganz treffend fest - lieber freiwillig komisch als unfreiwillig eine komische Figur. So erheitert der gute Beobachter seine Familie mit Episoden aus dem Tante-Emma-Laden und auf Karneval als Prinzessin.

Doch Hans-Peter macht sich immer mehr Sorgen um seine Mutter. Die nach einer Operation nicht mehr dieselbe ist, sich vom Haushalt und der Baustelle, die die neue Wohnung anfangs noch ist, überfordert fühlt. Deren Blick immer öfter ins Leere geht, die mehr weint als fröhlich ist. Ihr Mann, der versucht für sie da zu sein, aber beruflich ständig auf Montage ist. In einer Zeit, wo kaum jemand etwas von Depressionen wusste, waren Betroffene noch wesentlich mehr stigmatisiert als heute und wurden schlichtweg nicht verstanden: "Stell dich nicht so an", raunzt beispielsweise Opa Wilhelm seine Tochter an. Und: "Der Junge muss an die frische Luft!", da Hans-Peter seine Ferien lieber damit verbringt, seine Mutter aufzuheitern.

Tragisch der Suizid der Mutter, den Hans-Peter erstarrt bei ihr im Bett miterleben muss. Solch ein einschneidendes Erlebnis prägt die Betroffenen und nein, es ist niemands "Schuld". Weder die der Mutter, eine junge liebevolle Frau, die keinen anderen Ausweg sieht. Und schon gar nicht die des Kindes, das vor lauter Entsetzen versäumt, Hilfe zu holen. Gut dargestellt vom jungen Julius Weckauf die Trauer um seine Mutter und die Ängste, was nun aus ihm werden wird. Chapeau an Hape, wie er damals mit der Situation umgegangen ist, falls es sich tatsächlich so zugetragen hat. Nein, mehr wird an dieser Stelle nicht verraten. Wie beschrieb es meine liebe Sitznachbarin später so treffend - ein tränenschöner Moment!

Seit Ewigkeiten fasse ich keine Vorsätze mehr für's neue Jahr. Dieses Jahr ist alles ein bisschen anders - und einer wird sein, auch das Buch zu lesen. Ich gehöre zu den Leuten, die das geschriebene Wort gerne mit der filmischen Umsetzung vergleichen.

Autor:

Christiane Bienemann aus Kleve

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