Eine kleine Friedhofsgeschichte: Und das Lachen stirbt zuletzt

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Tag für Tag gehen sie auf den Friedhof. Im Frühling und im Herbst, am Ende eines heißen Sommertages und am Morgen nach dem schweren Sturm. Oft stets zur gleichen Tageszeit. Man kennt sich hier, tauscht Worte des Trostes gegen Pflanztipps aus. Macht sich ein Bild vom Leben des Verstorbenen vom Nachbargrab, entdeckt vielleicht Gemeinsamkeiten. Langsam entstehen Freundschaften, auch außerhalb des Mikrokosmos' Friedhof.

Gestern betrete ich nach langer Zeit mal wieder unseren Friedhof. In Vertretung meiner Mutter und als Durstlöscher für die große Blumenschale und die Bodendecker. Unter den großen Linden empfängt mich am frühen Abend ein wunderschönes Licht, ein leichter Wind rauscht durch die grünen Wipfel. Ich halte inne nach einem hektischen Tag. Erinnerungen an früher pirschen sich heran auf dem Weg zum Wasserkran. „Hallo Daddy“, wispere ich, während das Wasser sanft auf die Grabbepflanzung rieselt.

Ein älteres Paar nähert sich, wir tauschen einen Gruß und ein Lächeln, und schließlich bleiben sie stehen. Schnell kommen wir ins Gespräch über Gott und die Welt. Gerade wollen sie weitergehen, da rückt sie damit raus. Es hat ihr keine Ruhe gelassen, sie muss es einfach wissen: „Sind Sie die Schwester von der netten Dame, die hier sonst immer nach dem Rechten sieht?“ Mir fällt fast die Gießkanne aus der Hand und die Kinnlade herunter.

Nach einer Schrecksekunde entgegne ich: „Da wird sich meine Mutter sehr freuen, wenn sie das hört!“ Rollentausch, jetzt sind sie perplex und ich fange an zu lachen. Und sie zu beruhigen, denn das ganze ist der Frau unendlich peinlich. Schließlich stimmen beide in mein Lachen ein. „Jetzt muss ich Sie aber noch drücken“, überrascht sie mich zum Abschied. Kein Problem, ich lass mich gerne von Leuten umarmen, die mir sympathisch sind.

Ich pilgere zurück zum Wasserhahn. Eine weitere ältere Dame nähert sich mit ihrer Fiets. Sie ruft etwas, aber ich fühle mich nicht angesprochen. Noch nicht. „Hildegard, huhu Hildegard!“ winkt sie mir zu. Ich schau nach links, ich schau nach rechts. Keine Hildegard und - auch keine versteckte Kamera. „Hildegard?“ Jetzt hat sie mich fast erreicht. „Meinen Sie mich?“ frage ich vorsichtig nach. „Ja, sie sehen aus wie Hildegard!“ Okaaay... wir einigen uns darauf, dass es sehr ähnliche Typen gibt – und ich nicht Hildegard bin. Dafür ist sie ebenfalls eine Bekannte meiner Mutter und ich schmunzele in mich hinein.

Die Blümchen sind satt und zufrieden und ich beschließe, noch einen kleinen Gang über den alten Teil des Friedhofs zu machen, wo es interessante Denkmäler geben soll. Ein mittelalter Herr kommt mir entgegen. Ich hole tief Luft, wappne mich. Was wird jetzt passieren? Doch zu meiner Überraschung einfach – nichts! Gibt's doch gar nicht, oder? :-)

© Christiane Bienemann

Gedankenspiel (1):
Eigentlich hatte ich mit dem Gedanken gespielt, diesmal bei der Aktion „Gesicht des Sommers“ mitzumachen. Jetzt werde ich wohl besser meine Mutter anmelden

;-)

Gedankenspiel (2):
Beim anschließenden Schlendern über den Friedhof fand ich dieses Grab mit dem kleinen Deutschlandherz im Strauch. Das hat mich sehr berührt. Ob da Angehörige einen lieben Menschen auf diese Art und Weise teilhaben lassen wollten an der WM?

Autor:

Christiane Bienemann aus Kleve

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