"Tag der seltenen Erkrankungen" am 29. Februar
Bei Zoonosen tappen Ärzte oft im Dunkeln

Dr. Benjamin Berlemann, Chefarzt der Kinderklinik an der Hamborner Helios St. Johannes Klinik, hat durch Erinnerungen und schnelles Reagieren ein Leben gerettet.
Foto: Helios
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  • Dr. Benjamin Berlemann, Chefarzt der Kinderklinik an der Hamborner Helios St. Johannes Klinik, hat durch Erinnerungen und schnelles Reagieren ein Leben gerettet.
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Der Tag der seltenen Erkrankungen findet jährlich am letzten Tag im Februar statt,  in Schaltjahren wie 2024 am ebenso seltenen 29. Februar. Dieser Tag dient dazu, das Bewusstsein für seltene Erkrankungen zu schärfen und Solidarität mit den Betroffenen und ihren Familien zu zeigen, auch in Duisburg.

Seltene Erkrankungen betreffen oft nur eine kleine Anzahl von Menschen, aber zusammen sind sie eine beträchtliche Herausforderung für die öffentliche Gesundheit und das Gesundheitswesen. Der Tag bietet eine Gelegenheit, die Bedürfnisse der Betroffenen zu betonen, auf Forschung und Entwicklung neuer Therapien hinzuweisen und die Politik und Gesetzgebung im Bereich seltener Erkrankungen zu fördern. In der Europäischen Union gilt eine Erkrankung als selten, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind.

Gliederschmerzen, Schüttelfrost, Fieber – was zunächst nach einer zünftigen Grippe klingt, stellt Ärztinnen und Ärzte mitunter vor medizinische Rätsel. Denn viele, auch seltenere Erkrankungen beginnen auf diese Weise und bescheren den Betroffenen meist späte Diagnosen. So auch einige Erreger, die vom Tier auf den Menschen überspringen können, die sogenannten Zoonosen.

Anfängliche Schwäche

Die ersten Anzeichen treten nach seiner Rückkehr aus dem Griechenlandurlaub auf: Thomas Herrschen (Name geändert) fühlt sich schlapp und antriebslos. Eine Erkältung, denkt er. Doch die anfängliche Schwäche steigert sich, er bekommt immer wieder Atemnot. Schließlich geht es ihm so schlecht, dass er den Rettungsdienst ruft. In der Notaufnahme der Helios St. Anna Klinik in Huckingen stellen die Ärzte schnell fest, dass der 58-Jährige nicht nur Wasser in Lunge und Beinen einlagert, sondern auch die Weichteile seiner Bauchdecke entzündet sind.

Die Folge: eine lebensbedrohliche Sepsis. Das Team startet die Behandlung, doch die Diagnose bleibt weiterhin ein Rätsel? Woher kommen die Symptome? Trotz wiederholter Proben und Antibiotikatherapie finden sie den auslösenden Erreger nicht. Thomas Herrschens Organe versagen langsam, insbesondere Leber und Nieren. Um seine Überlebenschancen zu erhöhen, versetzen die Ärzte ihn in ein künstliches Koma.

Tests verliefen ergebnislos

Dieser Fall weckt auch bei Dr. Benjamin Berlemann, Chefarzt der Kinderklinik in der Helios St. Johannes Klinik, Erinnerungen. Besonders einer ist ihm im Gedächtnis geblieben: In der Kindernotfallambulanz der Helios St. Johannes Klinik wurde damals ein dreijähriger Junge eingeliefert. Er litt unter starken Bauchschmerzen mit hohem Fieber. Schließlich verfärbten sich seine Augen hellgelb und der Urin dunkelbraun.

Doch das Team konnte zunächst nichts finden: „Wir hatten alle möglichen Tests gemacht, die aber ergebnislos verliefen. Auch das Blutbild zeigte keine auffälligen Veränderungen. Dem Jungen aber ging es von Stunde zu Stunde schlechter“, erinnert sich der Pädiater. Ihm fällt schließlich ein Fachartikel ein, den er vor kurzem gelesen hatte und auf dessen Grundlage stellte er schließlich die richtigen Fragen. Denn die Familie war kurz zuvor in einem Streichelzoo gewesen, einschließlich längerem Besuch im Ziegengehege.

Schwankende Zahlen

Schnell ordnete das Team die entsprechenden Labortests an und behielt Recht: Der Dreijährige hatte sich mit dem sogenannten Q(uery)-Fieber angesteckt. Dessen Erreger – das Bakterium Coxiella burnetii – kann aus den Überresten von Nachgeburten oder zu Staub zerfallenem Kot von Ziegen oder Schafen über die Atemwege auf den Menschen überspringen und sich unerkannt zu schwerer chronischer Müdigkeit oder sogar einer Entzündung der Herzinnenhaut (Endokarditis) entwickeln. Auch Zecken oder nicht durchgegartes Fleisch können die Ursache sein.

In Deutschland schwankt die Anzahl der Betroffenen im Jahr zwischen 50 und 400 (2023 waren es laut RKI beispielsweise rund 70 gemeldete Fälle). Für die Tiere selbst ist das harmlos, aber bei Kindern oder immungeschwächten Menschen droht im schlimmsten Fall Lebensgefahr. Und manchmal sogar bei gesunden Menschen. Wie bei Thomas Herrschen. Denn schließlich fanden auch die Ärzte im St. Anna heraus, dass er sich offenbar in Griechenland mit dem Q-Fieber angesteckt hatte. Sofort passten sie die Medikation an und retteten so sein Leben. Auch Dr. Berlemanns kleiner Patient schaffte es damals.

Unspezifische Symptome

Diese sogenannten Zoonosen – also Erkrankungen, die von Tieren auf Menschen übertragen werden – sind zum Glück sehr selten, machen es den Medizinern aber oftmals besonders schwer. Viele kündigen sich mit unspezifischen Symptomen an und zeigen bei den üblichen Untersuchungen, etwa im Blutbild, kaum Spuren. Um die auslösenden Bakterien oder Viren zu enttarnen, müssen die Ärzte sich auf eine kniffelige Spurensuche im Umfeld der Patienten begeben. Gibt es Haustiere? Auslandsaufenthalte?

Die Liste der möglichen Krankheiten ist lang – insgesamt sind es rund 200 beschriebene – und manchmal braucht es Jahre, bis sie entdeckt werden. Ob Zoonosen generell zunehmen, ist nicht eindeutig geklärt, aber bestimmte Entwicklungen wie Veränderungen des Klimas, globalisiertes Reisen oder zunehmende Urbanisierung bestimmter Gegenden begünstigen den Kontakt von Menschen mit bestimmten Erregern. Für Ärzte hierzulande Anlass genug, diese Erkrankungen bei einer kniffligen Suche nach der richtigen Diagnose immer mit einzubeziehen.

Dr. Benjamin Berlemann, Chefarzt der Kinderklinik an der Hamborner Helios St. Johannes Klinik, hat durch Erinnerungen und schnelles Reagieren ein Leben gerettet.
Foto: Helios
Die umfassende Diagnostik ist auch und gerade bei einer seltenen Erkrankung von großer Bedeutung und Wichtigkeit.
Foto: Symbolbild Helios/nazarroshchuk
Autor:

Reiner Terhorst aus Duisburg

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