Borbecker Philippusstift konnte Ukrainer helfen
Eine gewagte Rettung

Der Ukrainer Mykola Sobol und sein Operateur Prof. Dr. Marcus Jäger mit dem Team des Philippusstiftes Borbeck. 
Foto: Henschke
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Mykola Sobol hat mehrfach Glück gehabt im Unglück. Das weiß er und ist dankbar. Den Ärzten in seiner ukrainischen Heimat, dem deutschen Krankenhaus, das sich so für ihn eingesetzt hat. Mit gutem Ausgang, denn er wird sein Bein behalten. Nach insgesamt 16 Operationen kann der 56-Jährige entlassen werden. 

Sein Operateur Prof. Dr. Marcus Jäger vom Borbecker Philippusstift berichtet: „Das Bein schien nicht zu retten.“ In einem Militärlazarett wäre amputiert worden. Doch der Essener Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sagte eine Behandlung zu: „Die Nachrichten vom Krieg klingen immer so weit weg. Aber diese massiven Verletzungen zu sehen, ließ für mich den Krieg ganz nahe rücken.“

Das 450 Kilometer von Kiew entfernte Saporischschja ist die sechsgrößte Stadt der Ukraine und hat mehr Einwohner als Essen. In der Nähe liegen ein Atomkraftwerk und ein riesiger Staudamm mit einem Wasserkraftwerk. Die Stadt ist also eminent wichtig für die ukrainische Stromversorgung und wurde daher früh Ziel russischer Bombenangriffe. Als die Front heranrückte, rückte die Stadtgesellschaft zusammen. Alle wollten helfen. Sobol zögerte keine Sekunde und meldete sich freiwillig.

Am 10. März wurde in Nähe des Flughafens ein Checkpoint eingerichtet und mit Betonplatten abgesichert. Als die Sirenen heulten und der nächste Luftangriff begann, geschah das Unglück. Eine der schweren Befestigungen fiel. Mykola Sobol konnte noch soeben zur Seite springen, doch sein linkes Bein wurde unter anderthalb Tonnen Beton begraben. Es dauerte 40 Minuten, bis der Mann befreit war. Er lebte, aber sein Unterschenkel war vollkommen zerstört. Im Krankenhaus „Nummer 5“ von Saporischschja wurden die Trümmerbrüche mit einem Fixateur befestigt.

Gewagte Rettungsaktion

Die Familie unternahm alles, um den Vater nach Deutschland zu bekommen. Tochter Yuliya studiert seit acht Jahren in Deutschland. Sie hilft geflüchteten Landsleuten und organisierte für ihren Vater eine gewagte Rettungsaktion. Der Schwerverletzte und Ehefrau Svitlana wurden im Zug bis zur polnischen Grenze gebracht. Ein deutscher Krankenwagen sollte sie dort abholen. Doch die Rettungskette riss, so die Tochter: „Plötzlich klappte das nicht. Anrufe bei der Bundeswehr und bei Hilfsorganisationen blieben erfolglos. Für mich brach eine Welt zusammen.“ Schließlich fand sich doch ein polnisches Unternehmen, das die Genehmigung erhielt, die Sobols mit dem Krankenwagen nach Deutschland zu bringen.

Am 25. März, nachts um fünf, konnte Yuliya Sobol ihre völlig erschöpften Eltern in die Arme schließen. Doch immer noch drohte eine Amputation, hält Jäger nüchtern fest: „Die ukrainischen Kollegen hatten ihre Sache sehr gut gemacht. Aber das Weichgewebe war zerquetscht, verbrannt, infektiös. Die Knochen völlig zerborsten und bakteriell besiedelt.“ In 16 Operationen wurde abgestorbenes Gewebe entfernt, noch gesundes gerettet, mit gefäßerweiternden Medikamenten für bessere Durchblutung gesorgt. Jäger wandte innovative Verfahren an, spezielle antibiotikagetränkte Keramik wurde verwendet, dazu körpereigene Zellen aus gesunden Bereichen.

Dennoch war ein Großteil des Unterschenkels verloren: „Haut kann man ersetzen, etwa aus dem Oberschenkel. Aber zerstörtes Weichgewebe nur begrenzt.“ Große Löcher bereiteten dem Professor Sorgen, doch er nutzte aus der Kriegschirurgie bekannte Verfahren: „Wir haben mit Lappenplastiken alles verschlossen bekommen. Der Patient ist Infekt-frei am Bein, nur die Knochenheilung noch nicht ganz abgeschlossen.“

Wie neugeboren

Inzwischen kann der Patient wieder stehen auf dem linken Bein und unternimmt bereits erste Gehversuche. Tochter Yuliya übersetzt: „Mein Vater fühlt sich wie neugeboren.“ Ihre Eltern beziehen eine Wohnung in Holsterhausen, für zumindest ein Jahr. Mykola Sobol macht sich Sorgen um den Vater, den Bruder, Verwandtschaft und Freunde, die alle im umkämpften Saporischschja bleiben mussten. Er trauert darüber, dass er zurzeit nichts tun kann gegen das, was sein Land erleidet.

Er sei auf große Menschlichkeit gestoßen hier in Essen: „Ich möchte Danke sagen. Das Personal hat mich förmlich auf Händen getragen. Alle haben sich sehr viel Mühe gegeben mit mir. Ich danke dem Team und dem gesamten Krankenhaus dafür, dass mein Bein gerettet werden konnte.“

Autor:

Daniel Henschke aus Essen-Werden

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