Waschbären haben in der Mülheimer Ruhraue zur kompletten Aufgabe der Graureiherkolonie geführt
Der Allesfresser hat abgeräumt

Der Graureiher ist nur noch seltener Gast in der Mülheimer Ruhraue. Der Waschbär hat dafür gesorgt, dass die Graureiherkolonie drastisch eingebrochen ist.
Foto: PR-Foto Köhring
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„Er sieht ja richtig niedlich und putzig aus, doch er ist ein gefährlicher Raubsäuger, der eine akute Bedrohung für die heimische Tierwelt darstellt.“ Gabriele Wegner, stellvertretende Leiterin des städtischen Amtes für Umweltschutz, meint damit den Waschbären, der in der Mülheimer Ruhraue kräftig gewildert hat.

Dass das keine bloße Vermutung, sondern eine erwiesene Tatsache sei, haben Wegner und Vertreter der Biologischen Station Westliches Ruhrgebiet (BSWR) jetzt bei einem Ortstermin im dortigen Naturschutzgebiet erläutert und gleichzeitig entsprechende Schutzmaßnahmen vorgestellt. „Hier ist etwas aus dem Gleichgewicht geraten, die Situation ist alarmierend“, stellt Dr. Peter Keil, Leiter der BSWR, fest. Die Fakten liefert sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Tobias Rautenberg.

Der Diplom-Biogeograph ist seit einigen Jahren im für Menschen nicht zugänglichen Schutzgebiet „Fauna-Flora-Habitat“ (FFH) zuhause und dokumentiert die Entwicklung der Graureiher-Population bis ins letzte Detail. Einen Blick in die Geschichte hat er auch parat. Nach dem ersten Brüten eines Graureiherpaares im Jahr 1992 gab es ab 1996 eine alljährlich besiedelte Kolonie, die unsere Stadt stolz und landesweit bekannt gemacht hatte.

Von einem auf
den anderen Tag

Rautenberg: „2006 wurde der bisherige Maximalbestand mit 109 Nestern erreicht. Dann kam es immer wieder zu Schwankungen zwischen 91 Brutpaaren im Jahr 2007 und 41 im Jahr 2018.“ Die BSWR wurde ab 2016 durch die Untere Naturschutzbehörde der Stadt Mülheim beauftragt, die Bestandsentwicklung der Kolonie zu überwachen und so eventuelle negative Einflüsse zeitnah zu bemerken. Und genau das hat zu weitreichenden Ergebnissen und Schlussfolgerungen geführt.

„In der Brutzeit 2019 mussten wir die komplette Aufgabe der Kolonie mitten in der Bebrütungs- oder Aufzuchtphase feststellen. Von einem auf den anderen Tag waren die Nester plötzlich verlassen. Ich war sprachlos.“, so der Biogeograph. Schon da habe er den Waschbären, der ein guter Kletterer ist, in Verdacht gehabt. Die Nester waren leergeräumt, abgerissene und abgebissene Federn von Jungvögeln wurden gefunden. Die Vermutung wurde schnell zur Realität. Der Übeltäter wurde durch aufgestellte Wildkameras ermittelt.

Daher wurde die Brutsaison 2020 von der BSWR und insbesondere von Tobias Rautenberg intensiv beobachtet, um die tatsächlichen Ursachen im FFH-Schutzgebiet in der Nähe des Kahlenbergwegs in Saarn exakt herauszufinden und gegenzusteuern. Vorbereitend waren Kletterschutzmanschetten an allen Horstbäumen in der ehemaligen Tongrube Rotkamp angebracht worden, um Waschbären das Hochklettern und Erreichen der Nester zu erschweren.

Die Rufe
bleiben aus

Die Biologische Station kontrollierte die Bäume in der bisherigen Graureiherkolonie im Frühjahr letzten Jahres nahezu täglich und fand zehn Brutnester. „In einem wurden bereits Junge gefüttert. Auch Rufe waren zunächst zu hören“, so Rautenberg. Ab April 2020 war eine Beobachtung wegen der zunehmenden Belaubung der Bäume allerdings kaum noch möglich.

Bei weiteren Begehungen wurde daher auf die Rufe geachtet, jedoch keine mehr festgestellt. Unter einigen Bäumen wurden zudem wieder abgebissene Federn junger Graureiher gefunden. „Offenbar, so Dr. Peter Keil, gab es zu diesem Zeitpunkt keine Jungvögel mehr in den Nestern.“ Tobias Rautenberg berichtet von nur einem einzigen von zehn Nestern, in dem zwei Graureiher erfolgreich großgezogen wurden.

Die Waschbären, deren „Wirken“ in der Ruhraue erstmals 2019 nachgewiesen wurde, hatten im Folgejahr also direkt zur Aufgabe der Reiherkolonie geführt. Die Brutpaare sind geflüchtet. Der Allesfresser hat abgeräumt und ganze Arbeit geleistet. Beim jüngsten Ortstermin in der Ruhraue kommen die Beteiligten noch einmal auf die eingeleiteten Schutzmaßnahmen zu sprechen.

Das Füttern
unterlassen

„Kletterschutzmanschetten, an denen der Waschbär abrutscht und die Entfernung von unteren Ästen hatten leider keinen deutlichen Erfolg“, erläutert Rautenberg, „denn wegen eines abgebrochenen Astes, der den Waschbären doch noch als Kletterhilfe in einer geschützten Baumgruppe diente, kam es zum Ausrauben von neun der zehn Nester.“ Grundsätzlich aber, so ist er überzeugt, können die Schutzmaßnahmen durchaus wirksam sein. Deshalb kann die weitere Entwicklung der Graureiherkolonie in der Mülheimer Ruhraue jetzt nur weiter beobachtet und abgewartet werden.

Eines machen Gabriele Wegner, Dr. Peter Keil und Tobias Rautenberg aber klar, als sie das Foto eines Mülheimer Bürger zeigen, das er von einem niedlichen Waschbären in seinem Garten aufgenommen hat. Das Füttern solle man auf jeden Fall unterlassen, denn die Vögel im heimischen Garten hätten „null Chance“ gegen den Raubsäuger, der in der heimischen Tierwelt keine natürlichen Feinde habe.

Der Graureiher ist nur noch seltener Gast in der Mülheimer Ruhraue. Der Waschbär hat dafür gesorgt, dass die Graureiherkolonie drastisch eingebrochen ist.
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Dr. Peter Keil, Tobias Rautenberg und Gabriele Wegner (v.l.) zeigen in der Ruhraue, wie man etwa durch Baummanschetten dafür sorgen will, dem Waschbären die Raubzüge zu erschweren.
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Autor:

Reiner Terhorst aus Duisburg

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