Ein flächensanierter Stadtteil zwischen Blümkes, Kohle und Beton mit Leben in der Bude
Neumühl wird 667 Jahre jung

Selbst die Einkaufsstraßen wie hier die Holtener Straße waren jahrzehntelang von der Schachtanlage dominiert.
Fotos: Archiv Terhorst
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  • Selbst die Einkaufsstraßen wie hier die Holtener Straße waren jahrzehntelang von der Schachtanlage dominiert.
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Neumühl ist erst vor wenigen Monaten zum „offiziellen Nebenzentrum“ der Stadt“ ernannt und somit deutlich aufgewertet worden. Hier herrscht reges gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben. Die Aktionsgenmeinschaft Neumühler Kaufleute sowie zahlreiche engagierte Menschen, Vereine und Institutionen sorgen dafür, dass „Leben in der Bude“ ist.

Neumühl hat eine bewegte und bewegende Geschichte. Und an die sollte in der nächsten Woche beim Stadtteilfest zum 667-jährigen Bestehen Neumühls erinnert werden. Aufgrund der Corona-Pandamie wurde das Fest schon vor einigen Wochen abgesagt. Aber Grund, sich zu erinnern und stolz zu sein, haben die Neumühler dennoch.

Mit einer „alten neuen Mühle“ fing es an. Und just von dieser ging letztlich zwar langsam aber stetig eine industrielle Entwicklung aus, die zum Grundstein zu der späteren Neumühler, und im Grunde genommen zu der gesamten Hamborner Großindustrie und Industriegeschichte wurde. Diese besagte Mühle (neye mulle) zu beiden Seiten des „Emster-Flusses“ (Emscher) wurde erstmals im Jahre 1353 erwähnt.

Stadtteil mit Geschichte

Zeitgleich wurde damals für alle „eingesessenen Kirchspiele“ (Ortsteile) Hamborn, Beeck und Meiderich die „Mahlpflicht“ ausgesprochen, was nichts anderes als ein „verordneter Mahlzwang“ war. Dass dieser „Zwang“ alles andere als ein „sanfter Druck“ war, sondern durchaus massiv, zeigt die Tatsache, dass damals bewaffnete (!) Reiter die einzelnen Höfe aufsuchten und die entsprechende Anordnung verbindlich durchsetzten. Die „neye mulle“ nahm ihren Betrieb auf, die Entwicklung von „Neumühl“ nahm seinen Lauf. Es wurde eine Emscherbrücke mit der Pflicht zur Zahlung von Brückengeld errichtet.

Es wurde Zoll erhoben, und die „Neue Mühle“ war eine florierende Zollstätte. Im Laufe der Jahrhunderte gab es unterschiedliche Besitzer. 1782 begann durch die Familie Morian eine neue Ära. Sie hieß jetzt Moriansmühle und wurde zum Stammhaus der Familie.

Stadtteil mit Hospital

Und dann ging es beinahe „Schlag auf Schlag“: 1857 mietet Daniel Morian die ersten Grubenfelder in Neumühl. 1883 gründen Daniel Morian und Franz Haniel die „Gewerkschaft Neumühl“. 1893 ist Fritz Haniel alleiniger Besitzer der Gewerkschaft Neumühl. Im gleichen Jahr wird der erste Schacht niedergebracht. 1897 wird nach Fertigstellung von oberirdischen Betriebsanlagen die Kohleförderung für den Absatz aufgenommen. Im selben Jahr wird mit den Arbeiten an Schacht Zwei begonnen, der schließlich 1900 vollendet war, und 1912 ist der letzte der insgesamt sechs Schächte geteuft.

Das St. Barbara-Hospital nimmt 1906 seinen Dienst auf. Für die Schachtanlage Neumühl hatte das Haus eine große Bedeutung als Unfallkrankenhaus. 1911 wurde die Evangelische Gnadenkirche fertiggestellt, und 1913 wurde die Katholische Herz-Jesu-Kirche geweiht. Neumühl war auf dem Höhepunkt seiner wirtschaftlichen Blütezeit. Selbst zwei Weltkriege konnten die Erfolgsgeschichte zwar unterbrechen, nicht aber stoppen. 1952 erreicht die Schachtanlage Neumühl erstmals eine Jahresförderung von über einer Million Tonnen Kohle. Doch die Krise nach dem Wirtschaftswunder machte auch vor Neumühl nicht halt. Am 7. Dezember 1962 wird die letzte Schicht auf der Zeche Neumühl gefahren. Hier war dann Schicht am Schacht.

Stadtteil mit Leben

Einen regelrechten zweiten Frühling erlebte Neumühl seit Anfang der 70-er Jahre. Zu der Zeit wurden in Neumühl Zeichen gesetzt und Aktivitäten auf den Weg gebracht, die heute noch Bestand haben und die Schlagworte von einem lebens- und liebenswerten Stadtteil mit Leben füllen.

Mit der Schließung der Zeche Ende 1962 wurde dem Stadtteil aber zunächst gewissermaßen sein Lebensnerv entzogen. Die Kaufleute im Stadtteil hatten sich zu einer „Notgemeinschaft Neumühler Kaufleute“ zusammengefunden, was im Grunde genommen alles über die wirtschaftliche Situation des Stadtteils aussagt. Neumühl wurde von der Politik zum größten Flächensanierungsgebiet der gesamten damaligen Bundesrepublik Deutschland erklärt.

Viel zu unkritisch wurden damals Bebauungspläne akzeptiert oder besser gesagt: „geschluckt“. Der Neumühler der Nach-Zechenzeit war halt kein Revoluzzer, kein Aufmucker, eher ein Dulder! Neumühl sollte „saniert“ werden, flächensaniert! Alles schien seinen vorgezeichneten Gang zu gehen. Doch dann machte der sogenannte Zeitgeist eine innere Kehrtwendung. Abriss um jeden Preis geriet immer mehr aus der Mode. Es bildeten sich Anfang der 70er Jahre Initiativen zum Erhalt der noch vom Bagger verschonten Zechenhäuser. Studenten und Professoren verschiedener Hochschulen interessierten sich plötzlich für den wieder „lebensbereiten“ Stadtteil.

Stadtteil mit Zukunft

Das Aufmucken hatte sich gelohnt. Gemeinsam mit einsichtigen Kommunalpolitikern wurde viel bewegt, viel erreicht. Heute gibt es etwa in den intakten Neumühler Gewerbegebieten mehr Arbeitsplätze als in den letzten Jahren auf der Zeche. Neumühl hat eine hervorragende Infrastruktur mit guten und schönen Wohnbereichen, Schulen, Kindergärten, Ärzten, Freizeitmöglichkeiten, Einkaufsstandorten und -angeboten einer hoch motivierten Kaufmannschaft, die kaum einen Wunsch offen lassen und einem intakten Vereinsleben, das Neumühl zu einem pulsierenden Stadtteil mit Zukunft gemacht hat.

Neumühl hat seinen eigenen Rosenmontagszug, seinen Stadtteil-Martinszug, sein großes Osterfeuer, seinen Vereins- und Bürgerbaum als „neues Wahrzeichen“, seine Revierfeste. Auch wenn zurzeit vieles nicht gefeiert, veranstaltet und durchgeführt werden kann: Neumühl hat Tradition und Zukunft gleichermaßen!

Autor:

Reiner Terhorst aus Duisburg

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